Miss Emmental 2022: «Die andere Art der Misswahl»

Misswahlen sind bekanntlich ein reaktionäres Konzept und seit dem Konkurs der Miss Schweiz-Agentur spielen sie scheinbar keine Rolle mehr in der Schweizerischen Popkultur. Aber nur weil die nationale Miss ein Ende gefunden hat, heisst das noch lange nicht, dass es keine Missen mehr in der Schweiz gibt. Vor allem regionale Missen sind noch ein Thema. Und die Neuste im Bunde? Die Miss Emmental. Von Aisha Wüthrich 

Letzten Sommer bin ich über die WhatsApp-Story einer ehemaligen Schulkameradin gestolpert. In der forderte sie Leute dazu auf, die Miss Emmental-Wahl in Zollbrück zu besuchen. Ich war verwirrt, denn ich (gebürtige Emmentalerin und Gender Studies-Studentin) hatte noch nie zuvor von den Miss Emmental-Wahlen gehört. Prompt habe ich mit meiner Recherche gestartet und festgestellt, dass es sich um einen neuen Wettbewerb handelt, der von der «Mein Emmental»-Brauerei durchgeführt wird. Weil ich mehr über die Veranstaltung erfahren wollte, habe ich die Organisator*innen kontaktiert und auf Anfrage hin habe ich kurz darauf eine Einladung zu einem Interview erhalten.

Das ganze Treffen war sehr herzlich und unkompliziert. Ich habe mich an einem Vormittag im August 2022 in der «Brauschüür» mit einer der Organisator*innen getroffen, die mich zunächst durchs Lokal führte. Ein hippes, rustikales Lokal im Herzen von Zollbrück. Wir setzten uns schliesslich an einen der hohen Holztischen, umgeben von einigen Stammkund*innen. Das Interview wurde auf Wunsch der befragten Organisatorin nicht aufgezeichnet.

Ich habe ihr direkt zu Anfang gesagt, dass es mich überrascht habe, eine Brauerei hinter der Organisation einer Misswahl zu finden, und fragte sie, wie sie auf diese Idee gekommen seien. Die Organisatorin erklärte mir, dass die Idee bei einem Team-Meeting aufkam und es ihnen darum ging, ein neues kulturelles Event für die Region auf die Beine zu stellen. Das Team entschied sich schliesslich für eine Misswahl.  

„Wie das „Fräulein“ das Kaninchen ersetzte“

Lustigerweise waren die Trägerinnen des Miss Emmental-Titels vor dem Beginn des Wettbewerbs der «Brauschüür» immer die schönsten Kaninchen der Region. Anders als die Kleintierschau, ist es gemäss der Organisation die Idee, durch den Wettbewerb der «Brauschüür» das Emmental national zu repräsentieren und die schönen Aspekte des Emmentals schweizweit bekannter zu machen. Auf die Frage, wieso es denn eine Miss Emmental brauche, antwortete die Organisatorin schnell: Wirklich «gebraucht» wird keine Miss. Es würde niemandem etwas fehlen, wenn es keine Miss Emmental gäbe, aber es sei eine Möglichkeit, mehr Präsenz für das Emmental zu schaffen. Ausserdem sei es ein guter Grund, Leute in Feierstimmung zu bringen und ein Fest zu veranstalten. Schliesslich ginge es darum, Spass zu haben, so die Organisatorin.  

Misswahlen: Das Wichtigste in Kürze

Es geht den Organisator*innen also um nationale Repräsentation und Feierlaune. Ich war erstaunt, dass dafür ein so kontroverses Format wie eine Misswahl ausgesucht wurde. Um meine Verwunderung besser einordnen zu können, hier das Wichtigste in Kürze:

Misswahlen dienen als Mittel, um eine kollektive Identität zu schaffen. Dabei verkörpert eine Miss – für gewöhnlich eine junge, schlanke und konventionell-attraktive (Cis-)Frau – die «essenziellen» Qualitäten der Region, welche sie repräsentiert. Die Idee der «idealen Frau» ist daher herkunftsgebunden. Im Zentrum stand immer die Schönheit, wofür Misswahlen, wie die Miss Schweiz, zu Recht kritisiert wurden. Die sexistischen Implikationen, vor allem in den frühen Jahren der Miss Schweiz, sind unübersehbar. Bikini-Runden mit künstlichem Lächeln führten dazu, dass die Miss Schweiz von Demonstrant*innen sinngemäss als «sexistischer Frauenzoo» bezeichnet wurde.

Regionale Wettbewerbe versuchen, dieser Kritik auszuweichen. Kategorien wie die «Female Leadership» an der Miss Bern-Wahl sollen zeigen, dass es um mehr als nur Schönheit geht. Geprägt von diesen Aspekten stellte sich mir die Frage, wie sich die Organisator*innen der Miss Emmental mit diesen Implikationen und dieser Kritik auseinandersetzen und welches Frauenbild von einer Miss Emmental repräsentiert werden soll. (Mehr dazu im folgenden Artikel: Misswahlen: Wieso genau hat uns die Miss Schweiz interessiert?)  

Wir wollen keinen «Fleischmärit»

Das Organisationsteam der Veranstaltung besteht aus drei Cis-Frauen. Diese planten die gesamte Veranstaltung, waren in Kontakt mit den regionalen Sponsor*innen und betreuten die Kandidatinnen während des Wettbewerbs. Das ist übrigens auch der Grund, wieso es (noch) keinen Mister Emmental gibt: Die Organisatorinnen möchten nicht ohne einen Mann im Team einen Wettbewerb über Männer veranstalten. Die Jury, die nur für die Casting-Runde von Bedeutung war, besteht aus fünf Sponsor*innen und zwei Organisatorinnen (insgesamt drei Männer und vier Frauen). Die Teilnahmekriterien sind einfach: Die Person muss mindesten 18 Jahre alt sein und über einen Wohnsitz im Emmental verfügen. Es wird zudem nie explizit gesagt, dass nur (Cis-)Frauen teilnehmen dürfen, was aber durch den Miss-Titel impliziert wird.

Von Beginn an betonte die befragte Organisatorin, dass es dem Organisationsteam ein zentrales Anliegen sei, dass die Veranstaltung kein «Fleischmärit» (Fleischmarkt) wird und dass sich die Kandidatinnen während des gesamten Prozesses wohl und zu nichts gedrängt fühlen. Eine klare Gegenhaltung gegen den «sexistischen Frauenzoo». Als ich sie zum Protest beim Miss Schweiz-Finale von 2014 befragte, erklärte mir die Organisatorin, dass die Miss Schweiz-Kandidatinnen wussten, worauf sie sich einliessen und sich somit freiwillig zur Schau stellten. Es sei ihre Entscheidung, wenn sie an der Misswahl teilnehmen wollen und daher sollen sie das auch dürfen.

Die Miss Emmental-Wahl verzichtet jedoch bewusst auf eine Bikini-Runde, denn diese Art der Inszenierung ist nicht im Interesse des Organisationsteams. Anschliessend erklärte mir die Organisatorin, dass ihr «Feminismus» zu extrem sei. Sie denkt, dass Frauen selbstbewusst sein und ihre Meinung äussern sollen, aber das «Feminismus» (den sie in ihrer aufständischsten Form mit Männerhass gleichsetzt) zu drastisch sei. Extreme Meinungen hätte sie grundsätzlich nicht gerne. Und als Emmentalerin muss ich sagen, scheint es mir so, als wären extreme Meinungen regional sowieso nicht so gerne gesehen, vor allem dann nicht, wenn sie zu radikalen, progressiven Veränderungen des (sozialen) Systems führen würden – gewissermassen ein Wert der kollektiven Identität des Emmentals.  

Bodenständig, selbstbewusst und fröhlich: Das Frauenbild des Emmentals

Im Gespräch mit der Organisation setzte ich mich mit den Siegeskriterien auseinander. Wir kamen schnell zum Schluss, dass es sich um eine Person handeln muss, die die «emmentalerischen Werte» repräsentieren kann, sozusagen die kollektive Identität in Person. Auf die Frage, welche Werte als zentral erachtet werden, kam die Antwort: «Eine (Cis-)Frau, die bodenständig, selbstbewusst, fröhlich und ehrlich ist. Solange diese Kriterien erfüllt seien, seien das Alter und das Aussehen der Person irrelevant», so die Organisatorin.  

Um diese ideale Miss Emmental zu finden, wurden im Finale vom 27.08.2022 fünf Wettbewerbsrunden durchgeführt. In der ersten Runde mussten sich die fünf Kandidatinnen, alles weisse Cis-Frauen, anhand von drei Objekten selbst beschreiben. Dies sollte den Zuschauenden einen groben Einblick in das Leben der Frauen ermöglichen. Von der liebenden Mutter, die an Hochzeiten singt, bis zur jodelnde Coiffeuse waren alle dabei. Hier sollte kurz erwähnt werden, dass alle Kandidatinnen, die sich beworben hatten, es ins Finale geschafft haben.  

Die zweite Runde war die sogenannte «Zero Waste»-Runde, in der die Kandidatinnen alle ein Outfit aus einem regionalen Vintage-Secondhand Shop getragen haben. Eine Miss Emmental soll somit auch umweltbewusst sein. Umweltbewusst im «emmentalerischen Sinne» scheint sich hier jedoch eher auf Heimat- statt auf Klimaschutz zu beziehen. Zu ihren selbstausgewählten Outfits sagten die Teilnehmerinnen kurz ein paar Worte. Generell liess sich heraushören, dass es ihnen egal sei, um welche Marke es sich handelt, solange die Sachen zusammenpassen und einigermassen bequem und praktisch sind. Etwas, das ich als bodenständig und unkompliziert deuten würde.  

In der dritten Runde traten die Teilnehmerinnen in «urchigen» Outfits, beschmückt mit Edelweiss, auf – was in einer klassischen Misswahl der Traditionsrunde entsprechen würde. Die Kandidatinnen mussten erklären, was «urchig» für sie bedeute. Die Gewinnerin, die ich aus meinen Zeiten im Dorf-Kinderchor persönlich kenne, beschrieb «urchig» meines Ermessens nach ziemlich treffend: «Urchig» sei Kultur, Tradition, Bodenständigkeit und «zämä häbe».  

In den «urchigen» Outfits wurde direkt im Anschluss Runde Vier durchgeführt, in der die Kandidatinnen Karaoke singen mussten. Spätestens jetzt als Hits wie «Alperose» und «W.Nuss vo Bümpliz» liefen, wird klar, dass es sich hierbei nicht um einen traditionellen Schönheitswettbewerb handelt, sondern um eine Dorfparty mit Programm.

In der letzten Runde kam die Veranstaltung einer konventionellen Misswahl am nächsten, da die Kandidatinnen in Abendkleidern über den kleinen Laufsteg gingen. Eine Kandidatin trug ein bodenlanges Abendkleid, eine kurze Jeansjacke und eine halbhohe Flechtfrisur. Ein Ensemble, das erneut die Mischung zwischen zusammenpassend und praktisch traf und in meinen Augen das typische Abendoutfit des Emmentals ist. Eine der Kandidatinnen bedankte sich beim Publikum, dass sie trotz des Schwingfests das Finale der Miss Emmental besucht haben. Schliesslich wurde die Miss Emmental auf die denkbar schweizerischste Art gewählt – mit einem demokratischen Stimmzettelverfahren der Zuschauer*innen.  

Das ideale Frauenbild des Emmentals bleibt letztendlich der Beschreibung der Organisatorin treu. Die Miss Emmental 2022 scheint mit ihrem strahlenden Lächeln eine fröhliche Person zu sein, die bodenständig und selbstbewusst zu gleich wirkt, zumal sie regional für ihre Jodelkarriere gemeinsam mit ihren Schwestern bekannt ist.  

Es ist also wahr: Die Miss Emmental ist eine «andere Art der Misswahl», so wie der Wettbewerb sich selbst bezeichnet. Es geht um eine ländliche Zwangslosigkeit und persönliche Authentizität. Es scheint eher einem Persönlichkeitswettbewerb zu gleichen und im Gespräch mit mir kommt die Organisatorin zum Schluss, dass sie eigentlich eine Repräsentantin des Emmentals suchen und sich von den Implikationen des Miss-Titel distanzieren möchten. Nichtsdestotrotz muss gesagt werden, dass auch die Miss Emmental sich an den heteronormativen Vorstellungen festhält – was am einfachsten an der Mode erkennbar ist.  

Miss Emmental – Fazit

Die Miss Emmental ist im Vergleich zur nationalen Misswahl absolut harmlos und wünscht sich nur, eine gute Zeit zu haben. Aber auch hier wird ein Frauenbild im öffentlichen Raum kreiert, dass eine spezifische Form der Weiblichkeit für die ideale Bürgerin vorsieht. Die Veranstaltung priorisiert aber das Wohlbefinden der Kandidatinnen und versteht sich selbst nicht als Konkurrenzkampf, sondern als eine Feier des Zusammenseins. Unglücklicherweise wird es dieses Jahr zu keiner Misswahl kommen, da es zu wenig Anmeldungen für die Miss Emmental 2023 gab und scheinbar kaum eine das Emmental national repräsentieren möchte. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es mit der Miss Emmental weitergeht und ob jemals ein Mister Emmental gekürt wird.

Artikelserie: Die Misswahl
Misswahlen: Wieso genau hat uns die Miss Schweiz interessiert?
Zum Thema Schönheit erschien auf JetztZeit
Spieglein, Spieglein in der Hand

Bilder

Titelbild: Miss Emmental 2022 – Michaela Moser (Miss Emmental)
Beitragsbilder:
Emmentalische Kleintierausstellung (zvg/Bern-Ost.ch).
National Donut Queen (Palumbo Fred).
Miss Massacheuset 1965 (Boston Public Library).
Miss Emmental 2022 (Miss Emmental)

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von JetztZeit - Studentisches Schreiben | Magazin

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen