Filmkritik: Barbie (2023) – Greta Gerwig

In Greta Gerwigs neuem Film Barbie bekommt die vielleicht berühmteste Puppe der Welt ihre erste eigene Realverfilmung. Dieser wurde bereits seit Bekanntgabe der Regisseurin und der Hauptdarstellerin heiss erwartet und weckte mit grandiosem Marketing dieses Jahr die Hoffnungen auf einen echten Megaknaller in Pink. Doch wird der Film diesen Erwartungen gerecht? Oder muss und will er das überhaupt? Von Samuel Tscharner

Regie und Crew

Barbie ist der vierte Film von Greta Gerwig. Zumindest der vierte Film, bei dem sie sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt hat, denn Greta Gerwig tritt in zahlreichen Filmen auch als Schauspielerin vor die Kamera, zuletzt in Wes Andersons Isle of Dogs oder in Noah Baumbachs White Noise. Ihre letzten zwei Filme Lady Bird (2017) und Little Women (2019) sind mehrfach ausgezeichnete, beinahe durchs Band hochgelobte Meisterwerke, die nicht nur handwerklich überzeugten, sondern vor allem auch durch ihre subtil erzählten Coming-of-Age-Geschichten und die authentischen Charaktere glänzten.

Mit Barbie liefert Greta Gerwig nun eine gesellschaftskritische Komödie mit Margot Robbie und Ryan Gosling in den Hauptrollen als «stereotypische» Barbie und Ken. Neben den namhaften Hauptdarstellenden und Nebendarstellenden, wie beispielsweise Helen Mirren, Michael Cera, Will Ferrell oder Emma Mackey, hat sich Greta Gerwig aber auch sonst nur Meister*innen ihres Fachs ins Boot geholt: Rodrigo Prieto für die Kamera (Brokeback Mountain, The Irishman), Sarah Greenwood für das Setdesign (Anna Karenina, Beauty and the Beast), Jacqueline Durran für die Kostüme (Anna Karenina, Little Women) sowie Mark Ronson und Andrew Wyatt für die Musik (A Star is Born). Zu guter Letzt hat ihr Partner Noah Baumbach (Marriage Story) am Drehbuch mitgeschrieben.

Der Film hat eine Lauflänge von 118 Minuten, ist ab acht Jahren freigegeben und empfohlen ab zehn Jahren, dürfte allerdings mit seinem Humor und seinen Aussagen eher für ein wenig älteres Publikum taugen.

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Worum geht es?

Barbie lebt in Barbieland. In Barbieland ist jeder Tag perfekt für Barbie. Hier hüpft der Toast jeden Morgen reibungslos vom Toaster direkt auf den Teller, tagsüber treffen sich die Barbies und Kens am Strand und jeden Abend gibt es eine Party, gefolgt von einer Girl’s Night. Zudem leben die Barbies im Glauben, dass sie für die Mädchen in der realen Welt grosse Vorbilder sind und ihnen durch ihre Rollen als Physikerinnen, Präsidentinnen, Bauarbeiterinnen alle Karrieremöglichkeiten eröffnet haben.

Doch eines Tages fängt Stereotype-Barbie (Margot Robbie) plötzlich an, über den Tod nachzudenken, ihr Tag spielt sich nicht mehr einwandfrei ab und ihr Körper zeigt Alterserscheinungen. Also muss sie in die echte Welt aufbrechen, um die Person zu finden, die mit ihr spielt, um ihren Verfall zu stoppen. Dabei wird sie unfreiwillig von Stereotype-Ken (Ryan Gosling) begleitet. Doch als die beiden in der realen Welt ankommen, erwartet beide eine Überraschung. Barbie muss feststellen, dass sie gar nicht so beliebt ist, wie sie glaubte, und Ken erfährt das erste Mal eine Welt, in der nicht die Frauen, sondern die Männer das Sagen haben.

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Filmkritik – Barbie

Wenn man sich die Crew anschaut, die hinter diesem Film steckt, konnte man bereits erwarten, dass da keine Null-Acht-Fünfzehn-Produktion auf der Leinwand landen wird. Und diese Erwartungen wurden auf keinen Fall enttäuscht. Dieser Film strotzt und strahlt förmlich vor Produktionswert.

Die Settings, die für Barbieland hergestellt wurden, sind umwerfend. Da steckt so viel Kenntnis über die unzähligen Barbieprodukte, so viel Verspieltheit, Liebe fürs Detail und so viel Pink drin, dass es sich ab Sekunde eins nach echtgewordener Puppenwelt anfühlt. Anscheinend hat man hier wirklich keine Mühen und Kosten gescheut und die pinke Farbe beim Farblieferanten für gewisse Zeit komplett leergeräumt. Auch die «Physik» in Barbieland ist clever und mit einem Augenzwinkern gestaltet. All das wird nahtlos ergänzt durch die hervorragenden Kostüme, welche den perfekten Schein der Barbiewelt komplettieren.

Auch die Musik passt sich hervorragend in den Film. Dafür haben Mark Ronson und Andrew Wyatt nicht nur selbst einige der Kernstücke geschrieben und produziert, sondern sich auch Beiträge von grossen Künstlerinnen wie Nicki Minaj, Billie Eilish, Lizzo oder Dua Lipa ins Boot geholt, die teilweise auch direkt im Film mitspielen. Dabei fliessen die Songs immer geschmeidig in die Erzählung ein und auch die Choreographien sind wunderbar geplant, durchgeführt und eingefangen.

Zu guter Letzt holt auch der Cast das Beste aus sich heraus. Das Medienecho dürfte sich einig sein, dass Ryan Gosling einen grandiosen Ken abliefert und man kann sich keine bessere Verkörperung für Barbie vorstellen als Margot Robbie, die es sowohl schafft die Naivität und Künstlichkeit der Puppe Barbie als auch ihren Optimismus, ihre Aufrichtigkeit, Autonomie und Verletzlichkeit rüberzubringen. Aber auch Will Ferrell in seiner Rolle als etwas clowniger Mattel-CEO, America Ferrara als durch Barbie geprägte Mutter oder Michael Cera als Allen spielen ihre Rolle ziemlich überzeugend. Für mich zudem unbedingt eine Erwähnung wert, ist Simu Liu als asiatische Version von Ken, der durchgehend eine hervorragende Präsenz an den Tag legt und neben Ryan Gosling überhaupt nicht zurückstehen muss.

Schon an diesem Punkt der Kritik sollte klar sein, dass es sich in jedem Fall lohnt, diesen Film gesehen zu haben. Das ist ein unglaublich hochwertiger Film, neben dem es so schnell nichts Vergleichbares geben wird.

Die Inszenierung ist ebenfalls wundervoll, mit extrem effektvollen und aussagekräftigen Bildern und Sequenzen. Nichtsdestotrotz, wenn wir zur Geschichte kommen, dann kommen wir damit auch zu den eigentlichen Schwächen des Films.

Die Grundprämissen von Barbieland als Parallelwelt zur realen Welt und der allgemeine Überzeugung der Barbies, dass sie in Barbieland alle Probleme der Frauen in der realen Welt gelöst haben, ist spannend. Auch die Idee, dass Barbie aus einen bestimmten Grund in die reale Welt reisen muss und dort eines Besseren belehrt wird, sowie dann die Frage aufzuwerfen, wie sie damit umgeht, ist ein überaus interessanter Ausgangspunkt für eine grossartige Geschichte.

Es erinnert an das vielleicht berühmteste Gedankenexperiment westlicher Philosophiegeschichte, nämlich das Höhlengleichnis von Platon, das zuletzt bereits in seiner Vorlage für Matrix bewiesen hat, dass es das Potenzial für eine bahnbrechende Geschichte in sich trägt. Die eingebaute Hommage an Matrix in Barbie dürfte bestätigen, dass sich Greta Gerwig dieser Anlehnung durchaus bewusst ist.

Wie dem auch sei, die Regeln der Koexistenz dieser beiden Welten bleiben durchgehend undurchsichtig (Fairerweise muss man eingestehen, dass sie das bei Platon auch bleiben). Auch das Ziel, wofür Barbie in die reale Welt aufbrechen muss, bleibt diffus und geht über den Verlauf der Handlung komplett vergessen, weil ein neuer Konflikt in den Vordergrund rückt. Ähnliches gilt für den gesamten Konflikt rund um den Mattel-Konzern, der schon zu Beginn kaum verständlich eingeführt wird und ebenfalls im Lauf der Ereignisse schlichtweg verschwimmt und verdunstet.

Das ist insbesondere Schade, weil gerade in diesen beiden Erzählsträngen die wirklich berührenden und konstruktiven Botschaften dieses Films stecken. Hier wird Platon komplett auf den Kopf gedreht, die Höhle sozusagen von Innen nach Aussen gekehrt: Die Schönheit der Realität gründet in der Imperfektion und der Vergänglichkeit. In dem man diese Erkenntnis annimmt, wird man vom fremdbestimmten Ideal zur autonomen und kreativen Schöpferin. Ausserdem erlaubt es uns Schwächen einzugestehen und besser zu kommunizieren und letztlich Konflikte besser aufzulösen. Überall wo der Film in diese Richtung dreht, ist er grossartig und berührend. Ausserdem ist es überaus sympathisch, dass der Film auch gehörig gegen Mattel austeilen darf, obschon der Konzern ein wichtiger Geldgeber für den Film ist.

Eine weitere Schwäche ist die einseitige Charakterisierung der Figuren abseits von Barbie, die als einzige eine umfängliche Charakterentwicklung durchmacht, obschon auch nicht wirklich klar wird, woher diese letztlich kommt.

Diese Schwächen rühren meines Erachtens daher, dass man so ungemein viel Raum für die Inszenierung eines Geschlechterkampfes verwendet. So sind beispielsweise ausnahmslos alle männlichen Figuren mit einem Namen in diesem Film innerlich verunsicherte, infantile Tollpatsche. Aber auch die weiblichen Figuren wie Gloria (America Ferrera), Sasha (Ariana Greenblatt) oder Weird Barbie (Kate McKinnon) bleiben seicht und eindimensional.

Nun muss sofort eingeworfen werden, dass die Darstellung dieser Seite von Männer in vielen wunderbar zutreffenden Motiven sehr humoristisch und mit viel Augenzwinkern eingefangen ist. Da ist zweifelsfrei viel Identifikationspotenzial und man kann viel darüber lachen. Auch den Trieb hin zu Aufmerksamkeit und Macht aus dieser Unsicherheit heraus, den einige der Figuren dann entwickeln, ist sicherlich in weiten Teilen korrekt beschrieben und regt zum Nachdenken an.

Dennoch der Film fokussiert so sehr darauf diesen Kampf zwischen diesen einseitig gezeichneten Geschlechterrollen einzufangen, dass über diesem Klamauk die erwähnte Konstruktivität beinahe verblasst. Das Thema des strukturellen Sexismus wurde schon deutlich nuancierter und tiefgreifender behandelt als hier, auch gerade von Greta Gerwig selbst, bspw. in Little Women. Letztlich bleibt auf diesem Erzählstrang denn auch keine bereichernde neue Idee übrig, wie dieses gesellschaftliche Problem anzugehen wäre.

Im Gegenteil, eigentlich wird auch hier der erzählerische Konflikt einfach weggeschnippst, und zurückbleibt der Status quo. In der Schlussfolgerung ist es kaum möglich diesem Film mit einer Bewertung gerecht zu werden. Es ist zweifelsfrei ein handwerkliches Meisterwerk, das man sich unbedingt anschauen sollte. Ziemlich sicher wird es sich einen festen Platz in der Geschichte der Popkultur sichern. Es regt zum Nachdenken an, es bringt zum Lachen und ist stellenweise wirklich rührend. Wer sich allerdings eine Erzählung erhofft, die so nuanciert und ergreifend ist wie Greta Gerwigs vorgängige Werke, wird hier womöglich enttäuscht sein.

Bewertung

Bewertung: 3 von 5.

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