Ein Blick an die Aussengrenzen der EU – Ein Fotoessay über mangelnde Solidarität und Pushbacks

Der sprunghafte Anstieg von Flüchtlingen, die 2015/16 in die EU kamen, hat diverse Mängel im europäischen Asylsystem offen gelegt. Im Dezember 2018 war ich zwei Wochen im Nordwesten von Bosnien-Herzegovina, um mir persönlich ein Bild der Folgen dieser verfehlten Migrationspolitik zu machen. Von Nils Wenzler

Velika Kladuša ist eine kleine Stadt im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina. Sie ist eine von mehreren Städten im Balkan, wo sich die verfehlte Migrationspolitik Europas exemplarisch zeigt. Eine grosse Zahl von Schutz suchenden Personen sind hier gestrandet, in der Hoffnung eines Tages in der EU Asyl zu beantragen.

Die offiziellen Flüchtlingscamps sind schon lange überfüllt und nehmen niemanden mehr auf. Daher sind über tausend Schutzsuchende gezwungen, in unmenschlichen Bedingungen auf der Strasse, in den Wäldern und in leer stehenden Häusern und Industrieruinen zu leben. Essen, warme Kleider und Feuerholz sind schwierig zu bekommen. Medizinische Hilfe ist limitiert auf das wenige, was NGO und lokale Freiwillige leisten können, während das örtliche Spital sich regelmässig weigert, Flüchtlinge zu behandeln. Wer es wagt zu helfen, ob lokale oder internationale Helfer, wird von der Polizei und den Behörden schikaniert. Diese hoffen dass, wenn Sie nur genug Druck machen, das ‘Problem’ sich wo anders hin verlagert. Dumm nur das dieses ‘wo anders’, namentlich Kroatien, ungleich brutaler vorgeht, dies mit der Rückendeckung der Europäischen Union. Der Versuch, die Grenze zu überqueren, um in Europa einen Asylantrag zu stellen, wird hier nur noch ‘Game’ genannt. Das ‘Game’ ist der Versuch, Kroatien und Slowenien zu durchqueren und es bis nach Italien oder Österreich zu schaffen. Werden die Flüchtlinge vorher gefasst, werden sie von den kroatischen Grenzbehörden festgenommen, wobei Asylgesuche ignoriert werden, und in kleinen Gruppen zurück an die grüne Grenze zu Bosnien gefahren. Dort werden ihnen Papiere, Kleider, Schlafsäcke, Schuhe etc. abgenommen und vor ihren Augen verbrannt. Oft werden sie brutal zusammengeschlagen, bevor man sie über die Grenze jagt und in der Wildniss zurücklässt. Es ist mittlerweile ein normaler Anblick in Velika Kladuša, dass Flüchtlinge mit offenen Wunden, gebrochenen Knochen und nur mit Unterhose bekleidet und barfuss in die Stadt zurückkommen, und das auch bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Die EU hat nicht nur den Aufbau der Grenzpolizei in Kroatien mitfinanziert, sie macht auch beide Augen zu vor den brutalen Menschenrechtsverletzungen an ihren Aussengrenzen. Die gleichen Taktiken wie sie Kroatien anwendet, sind nun auch schon in anderen Ländern gängige Praxis. Slowenien schiebt Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit Kroatien bis nach Bosnien ab, Griechenland setzt Menschen auf offener See wieder aus und auch in Italien und Frankreich häufen sich Berichte von solchen illegalen Abschiebungen. Der jüngst verabschiedete Migrationspakt und der massive Ausbau der Frontex wird diese Situation kaum verbessern, da es die Flucht weiter kriminalisiert und den Zugang zu unabhängiger Hilfe erschwert.

Wer mehr über die Situation speziell im Balkan erfahren will, dem sei das Border Violence Monitoring Network empfohlen. Deren Berichte dokumentieren systematisch die Menschenrechtsverstösse an Flüchtlingen. Vor einem Monat haben Sie die traurige Schwelle von 1000 aufgezeichneten Erfahrungsberichten überschritten. Während jeder dieser Berichte schon einer zu viel ist, ist es leider nur ein Bruchteil der Realität. Alle Schutzsuchenden, die ich dort getroffen habe, haben diese Erfahrung schon gemacht, die meisten zum wiederholten Male.

Die Bildstrecke ist während zwei Wochen im Dezember 2018 in Velika Kladuša entstanden. Ich habe bei einer kleinen NGO No Name Kitchen mitgeholfen und versucht, ihre Arbeit und die Situation zu beschreiben. Dabei wurde mir klar das die meisten Bilder, die wir zu diesem Thema sehen, sich auf das menschliche Leiden konzentrieren. Dies ist leider Teil der Realität und daher unweigerlich auch Teil dieser Serie. Allerdings habe ich auch gelernt, das diese Bilder den Menschen und der Situation nicht gerecht werden. Eines der Ziele der NGO war ein wenig Normalität in dieser Situation zu schaffen: Ein gemeinsames Essen, ein Fussballspiel oder einfach zusammen reden und träumen. Es ist in diesen Momenten, wo man ein Gefühl für den waren Schaden bekommt, den unsere Politik anrichtet. Die Schutzsuchenden mussten ihre Heimat aufgeben, in der Hoffnung auf Schutz einer Perspektive und Freiheit in einem anderen Land. Allerdings sind diese Träume hier an der Grenze zur EU auf Eis gelegt und die Zeit scheint still zu stehen.


Unsere Reaktion auf die gesundheitliche und wirtschaftliche Krise, die Covid-19 ausgelöst hat, zeigt, dass wir durchaus den Willen und die Möglichkeiten haben, umfassende Reformen und Veränderungen zu implementieren. Es scheint allerdings, dass wir nur willens sind, dies für unser eigen Leib und Wohl und unseren Wohlstand zu tun. Die Migrationskrise wird nicht verschwinden. Sie wird sich im Zuge zunehmender, zu erwartenden globalen Disruptionen wie dem Klimawandel nur noch verstärken. Wir können diese Krise nur angehen, indem wir einen ehrlichen Blick auf uns selbst, auf unsere Werte und die Politik, die wir unterstützen, werfen. Sind wir nicht gewillt uns zu verändern, ist es an der Zeit, Verantwortung für das Leid und die Tode an unserer Türschwelle zu akzeptieren. Und es ist an der Zeit, uns nicht mehr als die entwickelte humanitäre Gesellschaft zu bewerben, als die wir uns gerne sehen.

Eindrücke

Titel- und Beitragsbilder: Nils Wenzler

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