„Nee, aber mal im Ernst, ist das dein richtiger Name?“ Von Amber Eve

Mein richtiger Name ist in einem Stripclub genauso wichtig wie deiner – wahrscheinlich habe ich letzteren deshalb auch schon wieder vergessen. Schließlich geht es hier vorsätzlich darum, in einer rot beleuchteten Traumwelt ein Abenteuer zu erleben. Gespräche gehören da natürlich auch dazu – aber warum glaubst du, dass ein gutes Gespräch erst möglich ist, wenn du Eva statt Amber zu mir sagst? Weil es dir das Gefühl gibt, eben nicht in einer Traumwelt zu sein. Sondern dass das hier ganz real ist. Mein Name, meine Brüste, der Drink, den du mir gerade zahlst, und mein Interesse an dir, mein Lachen, wenn du einen mittelmässigen Witz machst. Es führt dazu, dass du dich besonders fühlst. Du bist der Auserwählte, der einen so guten Draht mit der Stripperin aufbauen konnte, dass sie dir ihr Herz öffnete und ihren richtigen Namen verriet. Du bist etwas Besonderes, du hast Tiefgang und bist nicht so oberflächlich und lächerlich wie alle anderen hier drin.

Natürlich kann man davon ausgehen, dass „alle anderen hier drin“ genau vom Selben überzeugt sind. Das verrate ich dir aber erstmal nicht. Stattdessen biete ich dir an, dir ebenfalls einen Namen auszudenken für die Zeit, die du hier verbringst – gleiches Recht für alle.

Es gibt einen Grund, dass Performer und Sexarbeiter:innen üblicherweise nicht unter ihrem richtigen Namen autreten – ziemlich viele Gründe sogar. Zum Einen hilft es, in eine Figur zu schlüpfen, einen anderen Namen an- und den Alltag abzulegen. Genau so, wie wenn ich mich schminke, und die Farbe auf meinem Gesicht mir dabei hilft, eine gewisse Seite an mir hervor zu heben, in eine neue Rolle zu schlüpfen. Amber lässt sich weniger gefallen, hat keine Angst vor deiner Meinung über sie und lacht öfter und ein wenig lauter über alles, was um sie herum geschieht. Eigentlich ist das gar nicht so weit entfernt von der Person, die ich normalerweise bin. Nur eben optimiert zum Unterhalten und Geld verdienen.

Der nächste Grund liegt eigentlich auf der Hand: Nicht alle Menschen im Rotlicht gehen so offen mit ihrem Beruf um wie ich. Viele müssen ihre Nachtaktivitäten vor ihrer Familie, vor Freunden und sogar Partnern verstecken, haben vielleicht noch andere Arbeitgeber oder leben in einem Land, in dem die Gesetzeslage ganz anders ist als in der Schweiz. Stigma kills: Gewalttaten und Übergriffe, die aufgrund von Vorurteilen gegenüber Sexarbeiter:innen entstehen, sind leider nach wie vor eine große Gefahr. Ein anderer Name schützt davor, wiedererkannt, aufgedeckt, und auf Facebook – oder im schlimmsten Fall vor der eigenen Haustür – wieder gefunden zu werden. Wie wenig bewusst diese Gefahr vielen Menschen immer noch ist zeigt sich daran, wie oft ich beim Arbeiten mit der Namens-Diskussion konfrontiert werde.

Dritter Grund: Nicht alle Namen klingen sexy. Zwar habe ich meinen Vornamen sehr gern, nur drückt er für mich nicht ganz das aus, was ich mir unter einer Stripperin vorstelle. Ein Name muss zur Figur passen. Im besten Fall hilft er mir dabei, die Illusion zu erzeugen, mit der ich meinen Kunden ins Verkaufsgespräch locke. Ein „Sesam-öffne-dich“ für das Portemonnaie meines Gegenübers.

Und warum jetzt genau Amber? „Amber, das klingt ja gar nicht deutsch. Ist das echt dein richtiger
Name?“ „Amber… so wie das Bier?!“ „Emba? Emma?“ Ich erinnere mich an den DJ im Pariser Stripclub, der mich immer mit „Ombre“ auf die Bühne rief und in mir merkwürdige Assoziationen hervorrief. Jedes mal musste ich mir vorstellen, wie ich als El Hombre, den spanischen Stripper mit seinem mächtigen Schnauzbart und Sombrero, auf die Bühne springe.

Ursprünglich ausgedacht hatte ich mir Amber vor sechs Jahren, als ich nach meinem ersten Vorstellungsgespräch in einem Stripclub in Neuseeland nach Hause lief. Ich hatte einen Job bekommen und den Auftrag, für meine erste Schicht am nächsten Tag drei sexy Outfits, High Heels und einen neuen Namen mit zu bringen. Beim intensiven Nachdenken spazierte ich zufällig an einem Hostel namens „Amber Lodge“ vorbei, als ich eine Eingebung hatte. Dass dieser plötzliche Geistesblitz ziemlich sicher vom großen Schild vor mir inspiriert wurde, wurde mir erst viel später bewusst. Und so wurde aus Eva Amber, ein Name, der sich vor allem in englischsprachigen Ländern sehr gut einsetzen ließ.
Natürlich hätte ich meinen Namen immer wieder ändern können, wenn ich den Club wechselte. Getan habe ich es aber nur einmal: für drei Tage arbeitete ich in einem Londoner Nachtclub als „Flame“ – weil es bereits eine Amber gab. Der Grund ist ganz einfach: Ich habe mich so sehr daran gewöhnt, mit Amber angesprochen zu werden, dass ich mich umdrehe, wenn jemand den Namen ausspricht. Ich identifiziere mich damit. Er ist zu einem Teil meiner Person geworden.

Wenn dann doch wieder einmal ein Schweizer über die Aussprache stolpert und darauf beharrt, in den Kreis der Auserwählten aufgenommen zu werden und meinen richtigen Namen zu erfahren, verrate ich ihn dann vielleicht doch irgendwann. Meinen „richtigen“ Namen, Elisabeth.

Titelbild: Amber Eve

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