Darf man Trinkgeld geben, oder muss man sogar? Verdienen Stripperinnen wirklich wie im Film mit einem Wimpernklimpern Berge von Geld, oder für was genau bezahle ich da eigentlich? Wie man sich als Konsument beliebt macht, und warum der Geldschein im G-String nach wie vor relevant ist. Von Amber Eve
Lass es regnen, dolla dolla bills, ruhig ein bisschen mehr, steck einen bunten Geldschein in meinen G-Strings, support your local hustler, Trinkgeld nicht vergessen… ja warum eigentlich? Für Menschen mit einem „normalen“ Job und fixem Lohn ist es vielleicht gar nicht so einfach zu verstehen, warum „Tip Money“ in meiner Branche so wichtig ist. Zwar ist der Lohn in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern oftmals besser, aber vor allem in der Dienstleistungs- und Unterhaltungsbranche gibt es da eine recht grosse Grauzone, in der die meisten eher im Bereich „knapp“ als „drüber“ ihre Brötchen verdienen. Jeder, der schonmal in der Gastronomie gejobbt hat weiss, wie dankbar man für alles ist, was über den Stundenlohn hinaus geht.
Also, reden wir über Geld!
Macht man nicht gerne. Ist unangenehm, denn Geld löst Emotionen aus. Es steht für Macht, Potenzial, einen sozialen Status. Irgendwie ist man stolz darauf wenn man es hat, und irgendwie ist es nie genug. Und so stelle ich als Erstes fest, dass das gar nicht so leicht ist über das Thema zu schreiben. Es soll nämlich nicht darum gehen, wieviel meine Arbeit wert ist. Dies soll kein Manifest darüber werden, warum Künstler nicht einfach für ihre Zeit, sondern genauso sehr für ihre Expertise, Professionalität und Fähigkeit, ein Gefühl im Publikum auszulösen bezahlt werden sollen – diese Einsicht setze ich jetzt mal voraus. Besonders wenn es um Sexarbeit geht, weiss aber irgendwie keiner so genau, wie das mit dem Geld funktioniert. Wer bekommt denn am Schluss wirklich was, und wie funktioniert das jetzt mit dem Trinkgeld geben? Davon, dass ein Lapdance seit 20 Jahren dasselbe kostet und ein Kaffee mittlerweile viermal so viel, fange ich gar nicht erst an. In Filmen sieht man Tänzerinnen inmitten von Bergen aus Dollarnoten schwimmen – im realen Leben eher weniger. In den USA ist die Trinkgeld-Kultur viel mehr in der Gesellschaft verankert, in Europa scheint mit dem Abdecken des Basispreises für eine Dienstleistung alles geregelt – oder etwa nicht?
Im Stripclub gilt die Devise: wenn du als Besucher keinen Spass hattest, hast du wahrscheinlich nicht genug bezahlt. Klar versuche ich nett zu allen zu sein. Wenn mir aber vom anderen Ende Wertschätzung nicht nur in Form von Komplimenten sondern auch Cash entgegen gebracht wird, funktioniert das einfach besser. Wenn du jetzt sagst „das kann ich mir nicht leisten“, dann nimm keine Dienstleistung in Anspruch, die du nicht bezahlen kannst. Wenn du sparsam sein möchtest, spaziere nicht in einen Club, oder gehe rechtzeitig, wenn das Budget aufgebraucht ist. „Ich respektiere dich zu sehr, um dir Geld zu geben“ ist nur eine von vielen schlechten Ausreden, die dann regelmässig ausgepackt werden. Vielleicht ist es deshalb manchmal schwierig, wenn die Illusion der guten Unterhaltung zu gut funktioniert – dann vergisst der Gast schnell mal, dass ich hier immer noch einen Job mache, und meine Zeit nicht gratis ist, egal wie viel Spass ich gerade habe.
Im Stripclub wird man nämlich nicht einfach dafür bezahlt, da zu sein – oder nur sehr spärlich. Im Prinzip gibt es bei Clubs zwei Systeme: Entweder gibt es pro Abend einen fixen Betrag für die Tänzerinnen (der aber sehr weit unter einem normalen Stundenlohn liegt), oder die Tänzerin bezahlt den sogenannten „House Fee“, also eine Gebühr, um an einem Abend arbeiten zu dürfen. Zwei sehr unterschiedliche Systeme, die beide auf ihre eigene Art funktionieren:
Im ersten System bekommt man also eine Art „Lohn“ für die 6 bis 10 Stunden, die man pro Abend im Club verbringt – wobei dieser Betrag weit (!) unter einem normalen Stundenlohn liegt. Von jeweils verkauften Getränken und privaten Tänzen für Gäste gibt es dann eine Kommission für die Tänzerin – die ist jedoch relativ niedrig, und den grösseren Anteil behält in der Regel der Club. Auf Trinkgeld zu verzichten „weil die Tänzerin ja eh vom Club bezahlt wird“ ist also ein schlechtes Argument. Der Vorteil von diesem System (das in Europa und der Schweiz am meisten verbreitet ist) ist einfach, dass man als Tänzerin sicher nie mit leeren Händen nach Hause geht. Der Stripclub trägt ein höheres Risiko, da die Entertainerinnen bezahlt werden müssen, macht aber auch mehr Einnahmen über ihren Umsatz. Als Gast zahlt man in der Regel keinen Eintritt, dafür kostet die Konsumation von Getränken dann mehr. Oftmals wird in diesen Clubs mehr auf Champagnerumsatz als Tanzkünste gesetzt, da dies für Clubbesitzer schlichtweg lukrativer ist.
Beim Prinzip „House Fee“ trägt die Tänzerin ein viel grösseres Risiko – je nach Wochentag liegt die Gebühr um zu arbeiten oftmals um die 100 $. Dafür behält man als Stripperin dann den Grossteil (wenn auch nicht immer alles, je nach Club) der eigenen Einnahmen – also verkaufte Lapdances und Trinkgeld (Getränke funktionieren oft trotzdem mit Kommission). Gerne stellen Clubs mit House Fees mehr Tänzerinnen pro Abend an, da sie keine Lohnkosten haben – dadurch ist der Konkurrenzdruck natürlich höher. Um nicht im Minus zu landen und am Ende mit weniger Geld heim zu gehen als zu Beginn einer Schicht muss man sich also sehr ins Zeug legen – und freut sich über jeden extra Geldschein, der einem zu flattert. Da in diesen Clubs meist mehr Shows geboten werden, bezahlen Gäste in der Regel auch einen Eintrittspreis – jedoch nicht ganz so viel wie die Tänzerinnen selbst.
Bei Outbookings (also privaten Events, für die ein*e Performer*in gebucht wird) fungiert meist eine Agentur als Vermittler, und auch diese behält einen nicht unerheblichen Teil der bezahlten Gage. Dafür übernimmt sie den Kontakt zum Klienten, bietet eine Plattform wo die Künstler*innen beworben werden können und führt das Verkaufsgespräch. Genau so wie auch der Stripclub einen sicheren Ort für Intimität zwischen Gast und Tänzerin bietet und mir einen Platz gibt, wo ich meinen Job ausüben kann. Wie fair das Gewinnverhältnis Stripperin – Club/Agentur ist, hängt dann vom jeweiligen Fall ab.
Viele gute Gründe also, ein bisschen mehr draufzulegen für die Dienstleistungen, die man da in Anspruch nimmt. Aber jetzt kommen wir zum Wichtigsten: Trinkgeld geben macht Spass! Es ist eine Interaktion, in der du mir Wertschätzung für meine Arbeit zeigst und mich gleichzeitig motivierst, einen guten Job zu machen. Schenken macht Freude – und der Moment, in dem du mir nahe kommst, um einen bunten Schein zwischen Elastikband und Haut zu platzieren ist schlichtweg sexy. Wann ist der beste Moment zum Trinkgeld geben? Eigentlich immer. Vor oder sogar während einer Show sorgt es für den zusätzlichen Motivationskick, eine besonders gute Performance abzuliefern und dir ein wenig extra Aufmerksamkeit zu zu teilen. Nach einer Show kannst du damit ausdrücken, dass du eine tolle Zeit hattest. Wenn du dir nicht sicher bist, ob jetzt ein guter Moment ist um Trinkgeld zu geben oder wie du das am elegantesten machst; einfach mal ein Scheinchen anbieten und schauen was passiert. Je nach Farbe und Zahl auf dem Schein sind die Reaktion und der Umfang der Dankbarkeitsbekundung wahrscheinlich unterschiedlich. Kürzlich bekam ich, begleitet von einem schüchtern-fragenden Blick, Trinkgeld in Form von Cumulus-Bons, und nahm es freudig an – da zeigte jemand vollen Einsatz in Anbetracht seines ansonsten leeren Portemonnaies! Auch TWINT ist eine gute Möglichkeit, wenn kein Bargeld da ist und du gleich noch meine Nummer abstauben willst. Nur Münzen behältst du vielleicht lieber in der Hosentasche – die sind erstens schwer im Höschen zu verstauen, und zweitens eine ziemlich undankbare Geste. Mit einem 10er Nötchen darfst du dich vielleicht ein bisschen weniger grosskotzig geben als mit dem 100er Schein – trotzdem ist das Geben von Trinkgeld der Moment, in dem du Held sein darfst, Respekt für meine Arbeit zeigst und dafür sorgst, dass die Party weiter geht.
Natürlich gilt das Prinzip der Wertschätzung in Form von Trinkgeld nicht nur bei Stripperinnen. Auch dein freundlicher Barista freut sich über eine grosszügige Geste; die Dame im Nagelstudio, oder der Velo Mechaniker, der sich kurz vor Feierabend nochmal extra Zeit genommen hat – auch wenn dein Trinkgeld dort vielleicht besser im Sparschwein als im Slip aufgehoben ist.
Titelbild: Amber Eve