Filmkritik: Three Thousand Years of Longing (2022) – George Miller

Three Thousand Years of Longing ist eine Erzählung in Filmgestalt. Eine Erzählung, in der Fantasie und Realität verschwimmen und liebevoll mit den Sujets aus den Märchen des arabischen Raums gespielt wird. Der Film ist nicht nur eine herzhafte Einladung in die Welten der Fantasie, sondern vor allem auch ein Genuss für die Ohren. Von Samuel Tscharner

Three Thousand Years of Longing ist ein Märchen/Fantasy-Film von dem australischen Regisseur George Miller, der beim erwachsenen Publikum vor allem bekannt sein dürfte für seine dystopische «Mad Max»-Reihe, aber auch die lieblichen «Happy Feet»-Animationsfilme erfreuten sich grosser Beliebtheit bei Jung und Alt. Der Film basiert auf der Novelle «Der verliebte Dschinn» (1994) von A. S. Byatt. In den Hauptrollen spielen Tilda Swinton und Idris Elba. Der Film dauert 109 Minuten, ist empfohlen ab 14 Jahren und läuft in Basel noch bis am 19. Oktober im kult.kino.

Handlung

Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Alithea Binnie (Tilda Swinton) beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Märchen und Erzählungen und deren Funktion für das menschliche Leben. Für einen Vortrag an einer wissenschaftlichen Konferenz reist sie nach Istanbul. Jedoch scheint ihre Fantasie ab dem Moment ihrer Ankunft darauf aus zu sein, sie mit unangenehmen Streichen aus der Fassung zu bringen. Als sie am selben Abend nach getanen Pflichten auf einem Basar einen wundersamen Flacon erwirbt, steuert das Ganze schliesslich auf seinen Höhepunkt zu. Als sie den Falcon in ihrem Hotelzimmer säubert, platzt dieser auf und eine Gestalt entweicht, die einer Expertin für Erzählungen nur allzu bekannt sein dürfte. Es ist ein Dschinn (Idris Elba). Dieser scheint nun allerdings zu real, um lediglich aus ihrer Fantasie entstiegen zu sein. Der Dschinn sehnt sich danach, frei zu sein. Dafür muss er ihr drei Wünsche erfüllen. Alithea möchte sich jedoch nichts wünschen. Sie ist soweit zufrieden mit ihrem Leben. Ausserdem traut sie dem Dschinn nicht über den Weg, denn Geschichten über magisch erfüllte Wünsche, würden stets tragisch enden. Die beiden kommen also ins Erzählen. Er erzählt die Geschichten von drei Personen, denen er über die letzten 3000 Jahre gedient hatte und weshalb er bis heute seine Freiheit nicht zu erlangen vermochte. Sie erzählt von einem verlorenen Freund aus ihrer Kindheit. Er erzählt von verzauberten und weisen Adeligen, von leichtsinnigen Mädchen, rachsüchtigen und unfähigen Königen, fantastischen Erzählern, unheimlichen dunklen Gestalten, und von unglaublich wissbegierigen Personen und ihren brillanten wissenschaftlichen Errungenschaften und selbstverständlich auch von Liebe. Zum Schluss wagt Alithea den Schritt und äussert ihren ersten Wunsch.

Three Thousand Years of Longing Szenen ov 07 Scene Picture
Alithea (Tilda Swinton) auf dem Basar in Istanbul

Kritik

Dieser Film ist ein mutiger Ausdruck der Liebe für die Fantasie und die Kunstform der Erzählungen. Mutig ist er insbesondere, weil er versucht eine Erzählung in Filmform zu sein. Während die Erzählung in der Literatur schon seit geraumer Zeit im Schwinden begriffen ist, hat sie es eigentlich nie so richtig in die Kunstform des Filmes geschafft. Dort tritt sie in der Regel als Montage oder anders auffallende Zwischensequenz auf. Beispielsweise im Prolog zum ersten «Herr der Ringe» oder im Märchen von den drei Brüdern im siebten «Harry Potter»-Film. Ansonsten entsprechen Filme eher der literarischen Form der Romane oder der Theaterstücke, wo in den Rezipierenden der Eindruck erweckt wird, mehr oder weniger direkt am Geschehen beteiligt zu sein. Man steht mittendrin, beschützt durch die vierte Wand. Der Erzähler ist der Autor oder der Regisseur. Er bleibt im Hintergrund und gilt in der Regel als zuverlässig. Nun geht die Tendenz im Filmbereich eher in die Richtung mit dieser Erzählform zu spielen, in dem man die vierte Wand bricht und die Rezipierenden noch näher ans Geschehen heranholt. Bei diesem Film, der einer Erzählung gleicht, geschieht allerdings genau das Gegenteil. Wir entfernen uns noch weiter vom Geschehen, denn vor die vierte Wand schiebt sich nun zusätzlich ein*e Erzähler*in, deren Zuverlässigkeit niemals gegeben ist. Es ist deshalb nicht leicht in einem Film den Charakter der Erzählung über weite Strecken aufrecht zu erhalten. Doch genau das tut dieser Film. Er ist vom ersten Moment bis zum Schluss eine Erzählung und in dieser Erzählung werden wiederum Geschichten als Erzählungen präsentiert.

Stellen Sie sich einen Film vor mit einer Laufzeit leicht über eineinhalb Stunden, in dem die gesamte Geschichte von Herr der Ringe mit Bildmaterial aus allen drei Filmen durch Galadriel aus dem Off erzählt wird. Wenn Sie denken, dass das allein von der Kunstform her, interessant sein könnte, dann könnte Ihnen auch «Three Thousand Years of Longing» gefallen. Denn dieser Film funktioniert genau so, manchmal offensichtlicher, manchmal weniger. Eigentlich versucht er diese spannenden, in anderen Filmen eher kurz auftauchenden Erzählsequenzen auf die Länge eines ganzen Filmes zu auszubreiten.

Diese Form kann befremdlich oder öde wirken, weil die Distanz zum Geschehen grösser ist und weil die Dinge, die man sieht, nicht unbedingt glaubwürdig sein müssen. Nichtsdestotrotz sind die Bilder, die in den Geschichten des Dschinns gemalt werden, durchtränkt von Fantasie und wecken den Wunsch noch mehr über diese Ereignisse und Zeiten zu erfahren, die er erlebt hat. Diese kindliche Faszination für märchenhafte Geschichten über Welten, die unserer zwar ähneln, aber so viele Geheimnisse in sich bergen, wurde bei mir auf jeden Fall angeregt. Trotz der Distanz der Erzählung schafft es dieser Film, immer wieder zu fesseln, Neugier auszulösen, zu verblüffen und auch Ekel, Schrecken und Sorgen im Zuschauenden hervorzubringen. Er nimmt uns mit in eine Märchenwelt direkt vor der Haustür. Ausserdem lässt er gerade auch mit seinem Ende viel Interpretationsspielraum offen. Ich werde meine kurze Interpretation ganz unten nach der Wertung hinschreiben, um diejenigen nicht zu spoilern, die selbst darüber nachdenken wollen, was sie gerade gesehen haben.

Das Spiel der beiden Hauptdarstellenden ist nicht hervorragend, aber durchaus genügend. Zugegeben, bekommen sie auch nicht allzu viel gute Vorlagen vom Drehbuch, um richtig herzhaft zu spielen. Am Anfang hatte ich ausserdem meine Mühe mit der Darstellung von Alithea, weil ich befürchtete, Tilda Swinton hole hier einfach die staubigsten Akademiker*innen-Klischees aus dem Schrank, aber spätestens ab Alitheas Geschichte im Hotelzimmer wird offensichtlich, dass diese Figur tatsächlich so konzipiert ist. Ein bisschen schade, da so die Identifikation deutlich schwieriger fällt.

Rein technisch ist an dem Film für das, was er sein will, nicht allzu viel auszusetzen. Das Vorhaben, eine Erzählung zu filmen, gelingt meines Erachtens ziemlich gut und ohne, dass das Geschehen soweit wegrücken würde, dass es je langweilig würde. Die drei Erzählungen des Dschinns wirkten teilweise etwas zu bruchhaft und zu rasch. Man hätte da einige Details noch einfüllen können, obschon die Länge des Films ideal war. Vielleicht hätte man es auch bei lediglich zwei Geschichten belassen können. Die Effekte sehen wunderbar aus und die Musik von Tom Holkenborg ist wie filigrane Goldfänden in diesen Film eingewoben. Zwar ist sie mir während des Films kaum aufgefallen, doch im Nachhinein verspürte ich das Bedürfnis, nach dem Soundtrack zu suchen. Etwas, das mir so noch nicht oft passiert ist.

Wertung

Bewertung: 4 von 5.

Persönliche Interpretation

In diesem Film erzählt uns Dr. Alithea Binnie wie sie während ihres Aufenthalts in Istanbul, inspiriert von der fremden Ferne wieder Frieden geschlossen hat mit ihrer Fantasie und ihrer Freude am Geschichtenerzählen. Speziell der letzte Teil des Films, wo sie in den Alltag zurückkehrt und einen Umgang mit ihrer neu wiedergewonnen Fantasie lernen muss, spricht meines Erachtens stark für diese Interpretation.

Bilder: TMDB und Ascot Elite

Trailer: Three Thousand Years of Longing

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