Young Critics: CÉSAR – Sinfonieorchester Basel Alexander Melnikov: Klavier/ Ivor Bolton, Leitung

Zwei Young Critics-Rezensionen zum Sinfoniekonzert CÉSAR. Von Oliver Viktor Waldvogel und Iulia Malaspina

HOCHVERDIENTE LORBEEREN

VON Oliver Viktor Waldvogel

Zum Abschluss der Saison 2022/23 wartete das Sinfonieorchester Basel mit Johannes Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 und der einzigen Sinfonie seines Zeitgenossen César Franck am 29. Juni erneut zu einer musikalischen Darbietung der Extraklasse auf.
Unter der Leitung von Chefdirigent Ivor Bolton wurde der Abend mit dem Klavierkonzert von Brahms in d-Moll eröffnet. Der Beginn des ersten Satzes Maestoso – Poco più moderato fiel zugegebenermassen etwas verhalten aus, mochten die unisono spielenden Violinen und Celli die emotionale Tiefe der Fanfare nicht gänzlich wiedergeben. Dies änderte sich unvermittelt mit dem Einsatz des Pianisten Alexander Melnikov, wobei die Zusammenarbeit zwischen Solist und Orchester fortan von grosser Harmonie geprägt war. Die aussergewöhnliche Virtuosität und Fingerfertigkeit Melnikovs gepaart mit der bemerkenswerten Klarheit seines Spiels, die auch in anspruchsvolleren Passagen vorhanden war, schienen das begleitende Orchester ebenfalls zu musikalischen Höchstleistungen anzuspornen. Das Adagio im Anschluss zeichnete sich durch fein abgestimmte, kontrastreiche Dynamik und die subtile Schönheit des sanften, beinahe lyrischen Hauptthemas aus. Die hohen Erwartungen an den letzten Rondo-Satz (Allegro non troppo) konnten definitiv erfüllt werden, schienen doch die schnellen Läufe und kraftvollen Akkorde im gekonnten Dialog mit dem Orchester für Alexander Melnikov wie geschaffen zu sein. Der grosse Applaus vor der Pause war Zeugnis einer insgesamt sehr gelungenen Interpretation Brahms’ 1. Klavierkonzert.
Der Abend wurde – bewusst oder unbewusst – mit César Francks Sinfonie ebenfalls in d-Moll fortgeführt. Das Werk wurde vom französischen Komponisten 1888 verfasst und besteht ebenfalls aus drei Sätzen: 1. Lento. Allegro non troppo, 2. Allegretto, 3. Allegro non troppo. Nach einem faszinierend düsteren und mysteriösen Einstieg geheimnisvoller Streichertremoli entwickelte sich im Verlauf des ersten Satzes eine kraftvolle und dramatische Atmosphäre. Im Gegensatz dazu schuf das erstklassig vorgetragene Englischhornthema im Zwischensatz auf einem von Streichern und Harfe gezupftem Klangfeld eine schwelgerisch melancholische Dimension. Als Reminiszenz an die beiden vorangegangenen Sätze wurden im anschliessenden Allegro non troppo geschickt bereits vorangegangene Themen und Motive integriert. Insgesamt überzeugte auch im letzten Satz das Orchester wieder mit seiner Fähigkeit, eine dynamische und spannungsreiche Atmosphäre zu schaffen.
Der Kreis des aktuellen Saisonprogrammes konnte somit mit einem Konzert voller lebhafter Emotionen und klanglicher Schönheit geschlossen werden. Die auf dem Konzertführer angedeuteten Lorbeeren waren demnach mehr als verdient!

WIDERSPRÜCHE

VON IULIA MALASPINA

Erlauben wir uns die Fantasie, uns in die ersten Zuhörerinnen des 1. Klavierkonzertes eines jungen, blonden Johannes Brahms hineinzuversetzen. Die Fantasie wird umso wahrhaftiger, wenn man das Klavierkonzert wirklich noch nie gehört hat. So muss man nur noch tun, als ob man nicht wüsste, wer Brahms gewesen ist, und ein paar andere historischen Ereignisse vergessen. Und, wie klingt es? Am Anfang erinnert es an Beethoven, aber nur gleich am Anfang. Danach wird es ein tollpatschiges Gemisch zwischen der Grandiosität Beethovens und der Verrücktheit Schumanns. Das Klavier lässt sehr lange auf sich warten und überrumpelt dann die Szene, als könnte der Part auch von einem Bären gespielt werden. Ab und zu haben das Orchester und das Klavier zwei völlig verschiedene Sachen zu sagen, das Klavier wütet in seine Richtung, das Orchester quer durch. Verglichen mit der geordneten Herrlichkeit der Sinfonie Francks, ist Brahms’ Konzert ein schwärmerisches Jugendwerk.

Aber Francks Sinfonie kannten die damaligen Zuhörer nicht, diesen Sprung in die Zukunft dürfen wir uns nicht erlauben. Auch ohne Vergleich mit Franck gefiel das Konzert den damaligen Zuhörerinnen nicht. Anscheinend war es unter anderem zu lang. Immerhin bedeutete damals ‹zu lang› eine Stunde und nicht fünf Minuten wie in anderen historischen Epochen. Diese Musik erfordert Aufmerksamkeit, Konzentration und Geduld. Zwar beginnt das Klavierkonzert wie eine ungelenke Hommage an Beethoven und Schumann, aber danach nimmt es seinen eigenen Lauf und klingt so, als würde es versuchen, irgendetwas hochkompliziertes, verworrenes und verwirrtes zu erwecken. Sicher nicht etwas, was die alltägliche Musik einer anderen Epoche immer und ausschliesslich anspricht, und zwar den Instinkt, die sofortige Reaktion, die nur auf der Oberfläche liegt.

Das Klavierkonzert klingt so, als würde es ganz tiefgreifende und widersprüchliche Gefühle ansprechen wollen. Haben nicht alle in sich einen eigenen Knäuel von Liebe und Eifersucht,
Anhänglichkeit und Unabhängigkeit, Begehren und Angst, Reue und Grosszügigkeit? War es damals für Brahms vielleicht die Liebe für Clara, wovon nicht klar war, ob sie als Mutter oder als Geliebte oder als Meisterin geliebt wurde – oder alles zugleich? Die Melancholie dieser Einsicht in die hilflose Widersprüchlichkeit des Menschen liess auch mit Francks Sinfonie nicht los: sie ist zwar laut, pompös, majestätisch, aber alles in allem hinterlässt sie nur den Eindruck, dass auch mit allem Lärm der Welt die Schönheit des Menschseins eine moll-Schönheit ist.

Sinfonieorchester Basel


Sinfonieorchester Basel

Du bist gefragt! Die Texte sind entstanden im Rahmen des Programms „Young Critics“ des Sinfonieorchesters Basel. Vorgaben zur Textgattung gibt es keine, sogar Gedichte sind möglich. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und mit einem Betrag von 50 CHF vergütet. Bewerbungen an: l.vaterlaus@sinfonieorchesterbasel.ch. Übrigens: Für Studierende mit Studi-Abo kostet ein Konzertbesuch nur 10 CHF!

Bild: Sinfonieorchester Basel

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