Zeit für einen kritischen klimaaktivistischen Blick auf das Thema der Sorgearbeit. Wie verändert das Mitdenken der Klimakrise, den Diskurs um Care-Arbeit? Von Milena Hess
Das Thema der Sorgearbeit beeinflusst feministische Bewegungen seit ihren Beginnen. Das ist wenig erstaunlich: Ein zentrales Element moderner, patriarchaler Strukturen stellt die Auftrennung der Arbeitsphären in privat und öffentlich, unentlöhnt und entlöhnt, reproduktiv und produktiv dar. Obwohl ausserhalb der reichen Oberschichten ein Grossteil der Frauen ebenso Lohnarbeit verrichteten wie Männer, verbreitete und zementierte sich Ende des 19. Jahrhunderts die Vorstellung, die Frauen gehörten in die Küche.
In den 70er Jahren stellten Feminist*innen wie Silvia Federici und Mariarosa Dalla Costa die Abwertung von Sorgearbeit in Frage und zeigten mit der Forderung nach “Lohn für Hausarbeit” die Abhängigkeit produktiver Arbeit von reproduktiver, sorgender Arbeit auf. Auch heute organisieren sich feministische Bewegungen rund um die Perspektive der Sorgearbeit: An den feministischen Streiks am 14. Juni wurde in den letzten Jahren zum Care-Streik aufgerufen und beim Gesundheitspersonal wie auch in der Kinderbetreuung regt sich Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen.
Das bekannteste und verbreiteste Argument, weshalb Sorgearbeit aufgewertet werden soll, verweist auf die Bedeutung der Care-Arbeit für die produktive Arbeit: Das Wirtschaftssystem würde nicht funktionieren, denn die Lohnarbeitenden würden nicht arbeiten können, ohne der Arbeit, die putzt, kocht, pflegt, gebärt, erzieht, tröstet, erhält. In dieser Argumentation werden Sorgetätigkeiten mit dem Begriff “Arbeit” betitelt und gefordert, diese gleichwertig zu produktiver Arbeit zu entlöhnen und schätzen. Daraus lässt sich nach Nancy Fraser ein Widerspruch zwischen Kapital und Care erkennen: Die kapitalistische Produktionsweise funktioniert nur durch Sorgearbeit, die schlecht bezahlt oder unentlöhnt ist. Gleichzeitig führt der kapitalistische Profit- und Wachstumszwang dazu, dass Sorgearbeit unter immer schlechteren Bedingungen geschehen muss. Eine Care-Krise entsteht, die sich in kapitalistischen Logiken nicht lösen lässt.
Aus einer wachstumskritischen Perspektive scheint diese Argumentation ungeeignet: Denn der Wert und die Legitimität von produktiver Arbeit selbst bleiben hier unhinterfragt. In unserem kapitalistischen System bedeutet produktive Arbeit (ab)bauen, fällen, graben, Profit steigern, wachsen – und meistens unnötig zerstören. Im Kontext der Klimakrise und damit dem erheblichen Verlust unserer weltweiten Biosphäre scheint gerade der Unterschied zu produktiver Arbeit eine Eigenschaft, welche die Aufwertung von Sorgearbeit legitimiert – und die Abwertung und das Hinterfragen von produktiver Arbeit nahelegt. Ausserdem lässt sich hier ein weiterer Widerspruch zwischen Kapital und Care erkennen: Die Zerstörung, welche die kapitalistische Logik anrichtet, führt zusätzlich zu einem Anstieg an zu verrichtender Sorgearbeit. Sorgearbeit, die laut Statistiken hauptsächlich auf als Frauen in der Gesellschaft Lebende fällt und global besonders den Globalen Süden betrifft. Denn das Auffangnetz in Krisen- und Katastrophensituationen sind Sorgearbeitende, wie die Covid-Pandemie auch in der Schweiz zeigte.
In diesem Verständnis könnte die Verhinderung von Zerstörung und damit Sorgearbeit auch als eine Form der Sorgetätigkeit verstanden werden. Die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen lässt sich als Sorge um Leben beschreiben. Das bedeutet: Auch Aktivismus ist eine Art der Sorgearbeit. Und auch hier fällt auf, wie die Aktivismus-Arbeit entlang von bestehenden Machtstrukturen aufgeteilt ist: Die europäische Klimabewegung besteht zu einer Mehrheit aus FINTA (Frauen, intern, nonbinäre, trans und agender) Personen, weltweit führen indigene Gemeinschaften einen direkten Kampf gegen Landnahme und Ausbeutung ihrer unmittelbaren Lebensgrundlagen und gerade in ehemals kolonialisierten Ländern wehren sich Menschen gegen den Raubbau an Ressourcen wie auch fossilen Brennstoffen.
Mit meiner Klimaaktivismus-Brille stelle ich fest, wie sehr die Debatte um Care-Arbeit davon profitieren würde, sich von der Logik der produktiven Arbeit abzuwenden. Drehen wir die Frage um: Produktive Arbeit soll sich an Sorgearbeit messen. Orientieren wir uns an den Bedürfnissen des Lebens nicht des Kapitals!
Die Artikelreihe Care-Arbeit entstand in der Zusammenarbeit mit dem Tutorat: Der Wert der Care-Arbeit. Eine marxistische Perspektive an der Univerisität Basel unter der Leitung von Lisa Kwasny und Romy Schäfer.
Artikelserie Care-Arbeit:
Unsichtbare Care-Arbeit in Bezug auf Silvia Federici
“The oil that makes their wheels go round” – images of care work