In ein anderes Land zu ziehen, bringt eine Flut neuer Erfahrungen und Emotionen mit sich, meist sind sie wunderbar und aufregend. Es kann aber auch sehr einsam sein. Darüber wird jedoch nicht oft geredet, denn gerade an einer Universität würden wir ja eher erwarten, dass wir schnell viele Freunde finden. Dem ist aber nicht immer so. Von Annie Sanchez Holzwarth
Eine lebendige Stadt
Ich kannte Basel bereits von unseren Sommerbesuchen bei meinen Grosseltern. Ich habe diese Stadt schon immer sehr gemocht, sie hatte und hat ein spezielles Flair für mich. Nicht all zu hektisch und die Leute waren gemütlich und gesprächig. Als ich dann nach Basel zog, um an der hiesigen Universität zu studieren, bestätigte sich dies in meinen Alltagserfahrungen auch zum aller grössten Teil. Die Stadt ist zu jeder Jahreszeit lebendig und es hat Unmengen an kulturellen sowie sportlichen Aktivitäten, Festivals, Flohmärkten, Messen, etc., um in der Freizeit etwas zu unternehmen. Langweilig wird einem nie.
Die Atmosphäre ist vor allem im Sommer sehr relaxed und versprüht mit dem Rhein fast schon mediterranes Flair. Die Stimmung am Rhein und der Umgebung an den warmen Sommertagen ist einfach traumhaft. Tausende Menschen versammeln sich an den Treppen am Rheinufer und grillen, schwimmen oder geniessen einfach den Moment. Musik, das Plätschern des Wassers und vor allem das Lachen der Menschen ist immer zu hören und macht einfach gute Laune. Was mich immer wieder von Neuem begeistert, ist die vielen Menschen zu sehen, wie sie sich mit ihren Wickelfischen im Rhein von der Strömung treiben lassen. Wer trockenen Fusses auf die andere Uferseite will, kann dies auch mit der durch die Strömung angetriebenen Fähren tun. Vor allem in der Weihnachtszeit, wenn die Fähren weihnachtlich dekoriert sind, ist es wunderschön damit über den Rhein zu schaukeln.

Basel ist aber nicht nur im Sommer oder an Weihnachten speziell, sondern hat eben zu jeder Jahreszeit etwas zu bieten. „Die drei scheenste Däg“, wenn das Fasnachtsfieber ausgebrochen ist oder die Herbstmesse mit ihrem unverkennbaren Duft nach Magenbrot und gebrannten Mandeln sowie natürlich den tollen Bahnen, die auf mehreren Plätzen in der Stadt verteilt sind. Gerade die Herbstmesse ist mein persönliches Highlight und absoluter Lieblingsevent. Dazu finden auch immer wieder Theatervorführungen, Konzerte und viele andere Veranstaltungen statt, wie die Weinmesse, die Baloise Session, die Art Basel, die Museumsnacht, das Floss Festival Basel, das Openair Cinema und noch so vieles mehr.
Nicht umsonst hat Basel auch einen Ruf als kosmopolitische und weltoffene Stadt. Aufgrund der zahlreichen Events und der Lage im Dreiländereck strömen auch immer sehr viele internationale Besucher in die Stadt.

In der Innenstadt ist praktisch alles zu Fuss oder mit dem „Drämmli“ zu erreichen. Man läuft oft durch romantische kleine Gässlein und es gibt ganz viele Museen in der Stadt und auch sonst entdecke ich immer wieder neue Plätzchen zum Flanieren. Obwohl der Münsterplatz sicher einer der touristischsten Orte ist, ist er definitiv mein Lieblingsplatz. Ein Ort, der mir Ruhe und Freude gibt. Die Aussicht auf die Stadt und auf den Fluss, egal zu welcher Jahreszeit, ist traumhaft.
Die Stadt ist für mich sehr speziell und besonders das Ambiente ist so wie nirgendwo sonst. Wer von der Arbeit kommt und vielleicht einen anstrengenden Tag hinter sich hat und nur noch nach Hause will, kann sich dem gemütlichen und ruhigen Charme der Stadt nicht entziehen.
Ein soziales Netzwerk aufbauen: Wie schwierig kann das schon sein?
In Basel mangelt es nicht an Gelegenheiten, um in der Freizeit auszugehen und Spass zu haben, aber wenn man niemanden kennt, mit dem man etwas unternehmen kann, wie viel Spass macht es dann noch? Ich habe das Glück, dass meine Mutter vor ein paar Jahren in die Schweiz zurückkam und ich mit ihr hier lebe, so dass ich vieles, wenn nicht alles mit ihr machen kann und das ist für mich immer sehr wertvoll.
Aber ein soziales Netzwerk, mit Freunden, mit denen man die unterschiedlichsten Aktivitäten macht oder einfach nur abhängt, ist ebenso enorm wichtig. In all den Jahren, seit denen ich nun in der Schweiz lebe, ist es mir recht schwer gefallen Freunde zu finden. Gerade auch an der Universität in Basel war es viel schwieriger, als ich mir das vorgestellt hatte. Wenn man, wie ich, in Südamerika aufgewachsen ist, hört man immer wieder, dass Schweizer und Deutsche so kalt und zurückhaltend seien. Das stimmt so allerdings nicht ganz. Es ist schwierig zu erklären. Aber kalt und zurückhaltend sind, so finde ich, die falschen Wörter. Ich habe im Verlauf der Zeit viele Personen kennengelernt, die waren immer sehr nett, freundlich und total lustig. Wieso ist es dann so schwierig Freundschaften in der Schweiz zu knüpfen? Diese Frage habe ich mir mehr als einmal gestellt.
Während der Schulzeit war es einfacher, einen Freundeskreis zu haben. Alle sind gleich alt, nehmen an den gleichen Aktivitäten teil, sodass es zu einer täglichen Interaktion kommt und irgendwann ist man einfach mit den Klassenkameraden eng befreundet. An der Universität in Ecuador ist es ähnlich. Man muss es sich ein bisschen wie in den USA vorstellen. Und ehrlich gesagt, habe ich gedacht, es wäre überall zumindest sehr ähnlich. Ich habe mich gefreut, neue Menschen kennen zu lernen, die die gleiche Leidenschaft wie ich haben. Als ich an der Universität Basel angefangen habe, merkte ich allerdings sehr schnell, dass meine Vorstellungen nicht sehr viel Gemeinsames mit der Realität hatten. An der Philosophisch-Historischen Fakultät kann man zwei Fächer kombinieren und dazu noch ein paar Kreditpunkte selber frei wählen. Der grosse Nachteil daran ist, dass man fast nie mit den gleichen Leuten die Vorlesungen oder Seminare besucht. Natürlich gibt es einige Personen, die man immer wieder antrifft. Aber dann gibt es auch diejenigen mit denen man sich im ersten Semester gut verstanden hat, fast alle Vorlesungen zusammen hatte, aber dann sieht man sich höchstens noch in einem späteren Semester oder sogar nur im Gang. In vielen Vorlesungen habe ich immer wieder sehr nette und interessante Menschen kennengelernt. Es blieb aber meistens nur bei einem netten Gespräch und es gab keine zusätzlichen Einladungen, um gemeinsam etwas zu essen, ins Kino zu gehen oder sonst etwas zu unternehmen. Von Lateinamerika war ich mir noch gewohnt, gleich am Anfang einer neuen Bekanntschaft zu irgendetwas eingeladen zu werden. Warum halten sich die sonst so zugänglichen und freundlichen Schweizer so zurück? Mit dem Verlauf der Zeit habe ich gemerkt, dass es verschiedene Gründe dafür gibt, die es schwierig machen, hier Freunde zu finden.
In Lateinamerika ist die Universität die einzige Möglichkeit, um sich weiterzubilden, während es in der Schweiz viele verschiedene Möglichkeiten gibt, um eine Ausbildung zu machen. Dementsprechend wird auch an der Universität in Lateinamerika sehr viel sozialisiert. Hier, in der Schweiz, und speziell in Basel, wird die Universität nicht unbedingt als „Kontaktbörse“ gesehen, sondern als das, was sie ist, nämlich eine Bildungsstätte. Viele der Menschen, die hier studieren, haben bereits ihren Freundeskreis ausserhalb der Uni und suchen deshalb nicht zwingend nach mehr Freunden. Das haben mir auch meine wenigen Freunde von hier bestätigt. Aufgrund dessen, dass man jedes Semester seinen eigenen Semesterplan machen kann und der dann auch bei jedem sehr individuell aussieht, geht man nur für die Vorlesungen in die Uni und das eigentliche soziale Leben findet ausserhalb davon statt. Da es an der Universität Basel auch nicht viele internationale Studenten gibt, wie zum Beispiel in Zürich, ist es für jemanden, der nicht in Basel aufgewachsen ist, recht schwierig Freunde zu finden.
Die Auffassung von Freundschaft ist hier auch etwas anders ausgerichtet. Man hat seine feste Gruppe und mit der wird dann fast alles unternommen. In Lateinamerika hat man zwar auch seinen festen Freundeskreis, aber der darf sich auch vergrössern, verändern. Ständig kommen neue Leute hinzu und es werden spontane Einladungen ausgesprochen, so dass man letztendlich einen sehr grossen Kreis von Menschen hat, mit denen man sich gut versteht und unterschiedlich viel unternimmt, auch wenn die meisten von ihnen nicht zum wirklich engen Freundeskreis zählen.
Wenn man in ein anderes Land zieht, wird es immer einfacher sein, tête à tête Beziehungen aufzubauen, statt sich spontan in eine schon bestehende Gruppe von Freunden zu integrieren. Je länger ich hier lebte, wurde auch das Bedürfnis, einfach mal mit jemandem „ein Bier trinken zu gehen“ immer grösser. Doch da musste ich lernen, wenn ich nicht den ersten Schritt mache und auf die Leute zugehe, kommt selten eine Einladung. Sehr ähnlich verhält es sich oft auch in der Arbeit. Es kommt eher selten zu einem gemeinsamen und privaten Austausch ausserhalb der Arbeitszeiten. Ich musste die Tatsache akzeptieren, dass es in der Schweiz mehr Zeit braucht als z.B in Ecuador, um Freunde zu finden. Sehr viel Zeit. Was ich aber noch mehr akzeptieren musste, ist, dass ich selber auf die Leute zugehen muss und nicht darauf warten kann, dass sie proaktiv werden, denn die meisten haben schon ein fest geplantes Leben mit Verpflichtungen wie Familie, Arbeit oder Ausbildung. Sie sind eingebunden in Vereine, gehen ihren Hobbies nach – kurz: Es wartet niemand auf mich mit einem Willkommensschild in der Hand. Ich musste mich also getrauen, den ersten Schritt zu machen, was mir als introvertierte Person schon immer schwerfiel. Und dann kam auch noch die leidige Covid-Pandemie dazu und aus war es mit den Freundschaftsversuchen. Noch nicht einmal mehr an die Uni durften wir gehen. Nun lebte ich zwar in meiner Lieblingsstadt, fühlte mich zu Hause aber oft trotzdem sehr einsam.
Natürlich ist das meine persönliche Erfahrung und Auffassung. Nicht allen geht es so wie mir, aber vielleicht doch mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Manchmal hat man etwas mehr Glück und manchmal halt etwas weniger. Manchmal kommt einfach das Leben dazwischen. Tatsache ist, ich habe viel gelernt, vor allem auch über mich selber, habe Ängste ablegen können und neues Vertrauen gefasst. Covid ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber die Welt hat sich wieder ein Stück weit geöffnet und ich bin bereit für neue und spannende Begegnungen. Und diesmal werde ich mein ganz persönliches Willkommensschild mit dabei haben.
Titelbild: Universität Basel
Beitragsbilder: Annie Sanchez Holzwarth