«Was willst du denn mit Archäologie, das hat ja nichts mit deinem Studium zu tun?» Aus meinem Umfeld kam grosse Verwirrung, als ich mich für eine Exkursion der Archäologie anmeldete – zu Unrecht. Eine archäologische Exkursion nach Pompeji half mir nämlich, nicht nur über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu blicken, sondern auch mit den Schnittstellen zwischen der Geschichte und Archäologie in Berührung zu kommen. Von Carina Basig
Ich war ebenfalls verwirrt ob der Reaktion meines Umfelds. Ich studiere nämlich Geschichte, und die Archäologie scheint mir da nicht so furchtbar weit davon entfernt zu sein. Im Gegenteil, ich fand es immer schon bereichernd, ein wenig über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Das bedingt natürlich, dass man die Zeit und Möglichkeiten hat, Veranstaltungen ausserhalb der eigenen Pflichtmodule zu besuchen und es bedingt auch, dass man bereit ist, einen gewissen Zusatzaufwand zu leisten. Denn um mit nach Pompeji reisen zu dürfen, musste ich nicht nur eine einführende Übung besuchen, sondern auch noch ein Referat vor Ort halten. Persönlich fand ich es am herausforderndsten, mich für das Handout zum Referat wieder in einen anderen Zitierstil einzuarbeiten und abzuschätzen, welche thematischen Schwerpunkte ich setzen sollte. Archäologie und Geschichte sind nämlich eben doch nicht ganz dasselbe. Und doch hat sich der zusätzliche Aufwand gelohnt.
Arbeiten bei strömendem Regen sowie bei brüllender Hitze
Exkursionen bieten, neben der Möglichkeit einmal in einem organisierten Rahmen mit anderen Studierenden zu verreisen, auch die Gelegenheit, sich richtig intensiv mit einem Thema zu beschäftigen. Und das haben wir wahrlich auch getan. Die Reise führte uns nach Pompeji, wo wir auch nächtigten, dazu nach Herculaneum, Stabia, Oplontis, Neapel und sogar nach Capri. Viereinhalb Tage lang haben wir uns nur mit der Stadt Pompeji auseinandergesetzt, mit ihren Privathäusern, Tempeln, Bädern, Foren, Wasserversorgungen, Strassen und ihren Nekropolen – den römischen Begräbnisstätten. Und auch wenn wir danach alle genug von Wandmalereien, Stuckaturen (dreidimensionale Verzierungen an Wänden, Gewölben etc.), Mauerresten und Mosaiken hatten, hätte man vermutlich die gesamten zehn Tage der Exkursion hier verbringen können, ohne dass einem die Themen ausgegangen wären. Wir haben uns jedoch nur mit ausgewählten Bauten beschäftigt, die dafür aber auch den «Nicht-Experten» wie mir einen sehr fundierten Einblick in das Funktionieren einer solchen Stadt gegeben haben. Bis am Ende der Woche hatte ich mir doch auch ein gewisses Gefühl für die einzelnen pompejanischen Stile, die Funktionen bestimmter Räume und zumindest eine grobe Orientierung innerhalb der Stadt erarbeitet.

Arbeit ist dabei ein gutes Stichwort. Die Exkursion hat mir persönlich viel Freude bereitet und ich habe mich in der Gruppe sehr wohlgefühlt. Aber es war auch eine Menge Arbeit, sowohl in der Vorbereitung als auch vor Ort. Wir haben die Tage zwischen den Ruinen verbracht, bei strömendem Regen ebenso wie bei brüllender Hitze und Sonnenschein. Sitzmöglichkeiten und Schatten waren rar und die Informationen dicht gedrängt. Ein gewisser erschöpfungs- und sonnenbedingter Wahnsinn breitete sich aus, was aber durchaus auch zur Unterhaltung beitrug. Das äusserte sich ebenso in spontanen Gesangseinlagen als auch in immer schlechteren Wortwitzen und sehr kreativen Fotoprojekten (wie viele Möglichkeiten gibt es wohl, einen römischen «Zebrastreifen» zu benutzen?). Auch die Tatsache, dass schliesslich sogar die Dozierenden die Bar einer weiteren Ruine vorzogen, spricht hier für sich.
Von Pompeji, über Neapel nach Capri
Nach dieser ausgiebigen Auseinandersetzung mit Pompeji ging es nun zu den umliegenden Grabungen. Persönlich faszinierte mich Herculaneum am meisten, eine Nachbarstadt des berühmten Pompejis, die jedoch einen viel besseren Erhaltungszustand hat und auch weniger überlaufen ist. Dank guten Kontakten konnten wir auch das Theater und die Vorstadtthermen besichtigen, die normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, was gerade auch Grabungsgeschichtlich sehr spannend ist (Da haben wir sie wieder, die «ganz normale» Geschichte). Die Villen in Oplontis und Stabia, die wir am nächsten Tag besuchten, waren wiederum etwas anderes, weil es sich um riesige Bauten in bester Lage handelt, die nicht direkt in eine Stadt eingebunden sind. Hier beeindruckten sowohl die Dimensionen als auch der Reichtum der Dekorationen. Wer den schweisstreibenden Anstieg zu den Villen in Stabia auf sich nahm, bekam zudem einen Eindruck davon, was für einen atemberaubenden Blick über die Bucht diese Wohnlage einst geboten haben muss. Heute ist das Gebiet leider dermassen zugebaut, dass sich der einstige Ausblick lediglich erahnen lässt.
Da viele Funde, insbesondere der ersten Grabungen im 18. Jh., die eher Schatzsuchen als archäologische Forschung darstellten, heute im Archäologischen Museum in Neapel zu finden sind, durfte natürlich auch der Ausflug dorthin nicht fehlen. Die Stadt allein wäre schon einen Besuch wert, auch wenn diese Millionenstadt für uns Schweizer durchaus etwas befremdlich wirken kann. Aber immerhin blieb nach dem ausführlichen Museumsbesuch, bei dem wir natürlich wiederum nur einen Bruchteil der Ausstellungen sehen konnten, noch etwas Zeit für einen Aperol Spritz und eine Pizza in Neapel. Bei so vielen neuen Eindrücken kann man schon mal fast den letzten Zug verpassen, was für einige von uns in einer abenteuerlichen Taxifahrt in halsbrecherischem Tempo zum Bahnhof endete. Mit dem «corno napoletano», dem örtlichen Glücksbringer, ausgestattet, haben wir es dann aber doch noch zurückgeschafft.
Den letzten Tag dann auf Capri zu verbringen, fühlte sich schliesslich ein bisschen an wie Ferien, eine Belohnung für die harte Arbeit der vergangenen Tage. Die Bootsfahrt war zwar für einen Teil der Gruppe anspruchsvoll und schlug doch einigen auf den Magen, ich selbst realisierte wieder einmal meine ausgeprägte Abneigung gegenüber Schiffen. Aber schliesslich schafften wir es alle wohlbehalten auf die möglicherweise berühmteste Insel Italiens. Natürlich gibt es auch hier archäologische Überreste, die man besichtigen kann, allem voran die «Villa Iovis» auf einem der höchsten Punkte der Insel. Beeindruckender als die Ruinen des Rückzugsorts von Kaiser Tiberius war hier aber die Aussicht, auf die ganze Insel, den Golf von Neapel, die anderen Inseln und sogar bis zur Amalfiküste. Eine gewisse Übersättigung mit Fakten mag schliesslich auch dazu beigetragen haben, dass wir in erster Linie das Panorama genossen. Die anstrengenden Touristenmassen ausgenommen, beeindruckten mich auf Capri vor allem die vielen grossen, sehr grünen Gärten, die mit ihrer üppigen Vegetation und den vielen farbigen Blüten vom berühmten Überfluss der «campania felix» (die römische Bezeichnung für die Region, das «glückliche Land») erzählten. Das schliesslich trotz des dichten Programms auch noch Zeit für ein Bad im Meer blieb, freute mich persönlich besonders und bildete einen schönen Schlusspunkt für diese Exkursion voller bleibender Eindrücke.

«Historikerin mit Scherbe» – und mit neuem Verständnis für die Archäologie
Rückblickend kann ich es also nur empfehlen, hin und wieder über die Module der eigenen Fächer hinauszublicken. Schliesslich lässt sich die Grenze zwischen Archäologie und Geschichte keineswegs so genau ziehen, wie die Fächerbezeichnungen das uns manchmal glauben machen wollen. Um es mit den Worten eines weiteren Exkursionsteilnehmers zu sagen, bin ich jetzt «eine Historikerin mit Scherbe», das heisst, ich bin nun nicht nur eine Historikerin mit einem sehr spezifischen Wissen über Pompeji und seine Nachbarstädte, sondern vor allem eine, die ein viel breiteres Verständnis für eine verwandte Wissenschaft gewonnen hat.
Titelbild: Herculaneum
Bilder: Carina Basig