Wie die Restitutions-Debatte zu einer Diskussion über unser globales Selbstverständnis führen könnte – ein Besuch im Museum der Kulturen in Basel. Von Céline Burget und Christina Zinsstag
Begibt man sich auf einen Gang durch die Ausstellung Wissensdrang trifft Sammelwut des Museums der Kulturen in Basel, überrascht mitten unter den bunten Exponaten eine leere Fläche. Der beiliegende Text erklärt, dass hier ein tjurunga ausgestellt werden sollte. Ein Objekt aus Zentral-Australien, welches von den Arrerente, der Herkunftsgemeinschaft, als geheim und heilig gehandelt wird. Deswegen hat das Museum beschlossen, das Objekt zu thematisieren, ohne es zu zeigen.
Im Rahmen dieser Ausstellung fand am 5. Juni unter dem Titel Wer braucht diese Maske? eine Führung mit anschliessender Podiumsdiskussion statt. An der Diskussion beteiligt waren die Museumsdirektorin Dr. Anna Schmid, Prof. Dr. Elisio Macamo (Universität Basel) und Prof. Dr. Gesine Krüger (Universität Zürich). Zwei Mitglieder der Redaktion nahmen an der Veranstaltung teil und berichteten aus gegebenem Anlass von den Überlegungen und Eindrücken des Abends.
Anfänge der Restitution
Die Forderung nach der Restitution kultureller Erbgüter ist keineswegs neu. Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die Diskussion um die Möglichkeiten einer Rückgabe der NS-Raub- und Beutekunst ein. Zu diesem Zeitpunkt begann eine Periode intensiver Verhandlungen zum Umgang mit unrechtmässig erlangten Objekten, die in der Provenienzforschung ihre zentrale wissenschaftliche Methode fand. Im Zusammenhang mit der Forderung zur Dekolonisation ab den 1960er-Jahren, erfuhr die Debatte einen erneuten Aufschub und ist seither immer wieder aufgetaucht.
Mit der Rede Emmanuel Macrons vom 28. November 2017 an der Universität von Ouagadougou in Burkina Faso gewann die Restitutionsdebatte wieder Aufschwung und erlangte eine bisher ungekannte Aktualität und Reichweite. Noch nie hatte sich eine ehemaliger Kolonialstaat so offen zur Rückgabe ‚kolonialer Objekte’ bekannt. Dabei kritisierte Macron den Umstand, dass ein Grossteil der kulturellen Güter afrikanischer Nationen in Frankreich verwahrt würden und forderte, dass binnen der nächsten fünf Jahre Voraussetzungen geschaffen werden, die eine langfristige Rückgabe an die afrikanischen Länder ermöglichen.
Seither sehen sich Regierungen und Museen unter Zugzwang. Die Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern steht an der Tagesordnung, nicht zuletzt, weil Macrons Rede eine breite, öffentliche Debatte lostrat. Dass die Durchführung einer Restitution dabei allerdings höchst komplex bleibt, darf nicht unterschätzt werden.
„Ich habe keine Angst vor leeren Museen“
– Museumsdirektorin Dr. Anna Schmid
Konfrontiert mit der Befürchtung, dass als mögliche Konsequenz zunehmender Restitutionsforderungen die ethnologischen Museen bald leer stünden, winkte die Direktorin des Museums der Kulturen, Dr. Anna Schmid, entschlossen ab. Die Restitution von Objekten werde in Bezug auf die Schweiz seltener gefordert, als es bei ehemaligen Kolonialmächten der Fall ist und obwohl sie Anfragen begrüssen würde, bliebe der Rückgabeprozess aufwendig. In den letzten 13 Jahren führte das Museum der Kulturen in Basel lediglich eine einzige Restitution erfolgreich durch.
Im Zentrum potenzieller Rückgaben stehen meist menschliche Überreste, deren Restitution schon früher als bei anderen Objekten allgemeinhin als moralische Pflicht angesehen wurde. Es ist jedoch auch nicht so, dass Verhandlungen über Restitution immer in einer Rückführung enden müssen. Manchmal wird dies von den Herkunfts-Gemeinschaften gar nicht gewünscht. Oder aber es werden alternative Wege gefunden, wie mit den fraglichen Objekten umgegangen werden soll. Es ist wichtig, dass Restitution nicht einfach als eine Form der Absolution für ehemalige Kolonialmächte wahrgenommen wird, denn auch heute gibt es noch strukturelle Ungleichheiten auf staatlicher wie auch institutioneller Ebene. Macrons Rede besass unter anderem aufgrund seiner Position als Präsident einer ehemaligen Kolonialmacht eine derartige Wirkkraft.
Grenzen der Digitalisierung und Provenienzforschung
Diese Ungleichheit ist auch materiell spürbar. Damit der Bestand des Museums auch ausserhalb von Basel eingesehen werden kann, muss er digitalisiert werden. Dass mit einer solchen Digitalisierung, die es zum jetzigen Zeitpunkt in Basel nicht gibt, die Rückgabe erleichtert werden könnte, ist in einigen Fällen zu kurz gegriffen. Elisio Macamo weist darauf hin, dass nicht allerorts ein zur Einsicht notwendiger Internetzugang vorausgesetzt werden kann. Er fordert ein intensiveres Nachdenken über die Realisierung der Restitution in Anbetracht der logistischen Hürden.
Darüber hinaus, so Gesine Krüger, erschweren mangelnde Kenntnisse der Grundlagen afrikanischer Geschichte die europäische Provenienzforschung, die unabhängig davon auch nur dann aufgenommen werden kann, wenn vorab genügend Geld vorhanden ist. Die Forschung zur Provenienz soll sich an dieser Stelle nicht primär auf rechtliche Fragen konzentrieren. Die Biografie eines Objekts zu rekonstruieren verlangt einiges an Grundlagenwissen und häufig lässt sich lediglich die Person ermitteln, welche das Objekt ins Museum brachte, und allfällige Zwischenhändler. Der Hersteller oder die Herstellerin bleibt oft unbekannt.
Trauma heilen oder alte Wunden aufreissen
Der Historiker Dan Diner verweist in seiner Monographie Restitution and Memory (2007) auf die enge Verflechtung zwischen Dingen und Erinnerungen: Während Objekte Erinnerungen auslösen können, konzentrieren sich Erinnerungskulturen im Allgemeinen auf Objekte. Dass unabhängig vom tatsächlichen Kontext der Aneignung eines Objekts mit dessen Rückgabe Erinnerungen an Sklaverei, Kolonialismus und das Erbe der Siedlungskolonien ausgelöst werden, muss anerkannt werden.
Durch die wachgerufenen Erinnerungen werden Diskussionen über Schuld, Demütigung und Enteignung in Bezug auf die koloniale Vergangenheit weitergeführt. Fest steht, dass betroffene Objekte nicht in den Kontext der vergangenen Übernahme rückgeführt werden können. Genauso wenig lässt sich das durch den Kolonialismus geschehene Unrecht rückgängig machen. Hinsichtlich der Debatte um Restitution wird daher von allen Diskussionsteilnehmenden mehr Transparenz gefordert und die Notwendigkeit von einem Austausch auf Augenhöhe betont. Denn in Fragen der Rückgabe gehe es nicht nur um ökonomische, rechtliche und politische Überlegungen, sondern auch darum symbolische Zeichen zu setzen.
Die Debatte im Zusammenhang mit der Restitution geht über die Rückgabe kultureller Objekte hinaus. Sie stellt die zentrale Frage, wie es möglich ist, einen Zustand gegenseitiger Anerkennung herzustellen, in welchem Schuld anerkannt und Konflikte bewältigt werden können. Die Restitutionsdebatte könnte dabei als neuer Ausgangspunkt für einen globalen Effort zur Dekolonisation dienen.
Welche Aufgaben und Funktionen sollen Museen zukünftig übernehmen? Ist es nicht etwa notwendig, dass das Musée des Civilisations Noires in Dakar auch nicht-afrikanische Kulturgüter zeigt und in seine Sammlung aufnimmt? Was ist der Zweck von Kunst und wie wird sie genutzt? Wie kommt es, dass gewisse Objekte heute mobiler sind als Menschen, während andere weiterhin wie Schätze gehortet werden? All diese Fragen werden sich im Zuge weiterer Restitutions-Bemühungen stellen. Die Frage nach der Herkunft ‘der Maske’, wie es im Titel steht, begrenzt sich nicht auf die Klärung eines Eigentümers oder einer Eigentümerin. Eine Fortführung der Debatte um Restitution könnte helfen, eine ‘globale Gemeinschaft’ herzustellen, in welcher Konzilianz die Gespräche bewegt, Unrecht anerkannt wird und nachhaltige Beziehungen aufgebaut werden können.
Weiterführende Materialien
► Auf der Website des Museum der Kulturen Basel findet sich die Heidelberger Stellungnahme zur Dekolonisierung in Museen.
► Wie verläuft die Restitutionsdebatte im deutschsprachigen Raum? Der Media Review on Museums des Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage in Berlin bietet einen Überblick.
► Der Blog Museen und Verantwortung bietet ebenfalls einen Einblick in die Thematik.
► Der Blog Wie weiter mit Humboldt’s Erbe? beschäftigt sich mit der Debatte um das geplante Humboldt-Forum in Berlin, in welches unter anderem das Ethnologische Museum Berlin einziehen soll.
► Der Philosoph Achille Mbembe äussert sich immer wieder zur Debatte, z.B. in diesem Interview.
Eindrücke von der Veranstaltung Wer braucht diese Maske? zum Thema Restitution und der Austellung Wissensdrang trifft Sammelwut am Museum der Kulturen Basel: