Hochschulpolitik und freudvoller Aktivismus

Nicht immer fühlen sich Studierende mit ihren Anliegen von der Universität gehört. Aktivismus an der Hochschule hat darum Tradition und findet die unterschiedlichsten Formen. Darüber sprach ich mit Kirke aus der Student*innenverbindung Socordia und sirène-Redaktor Gilles. Von Anniina Maurer

Gilles ist aktiv bei der Langen Nacht der Kritik und Redaktor der bildungs-kritischen Zeitschrift sirène, welche im letzten Jahr erstmals erschien. Kirke vertritt die Basler Schwesternschaft Socordia, die am 14. Juni nicht nur den feministischen Streik, sondern auch ihr einjähriges Bestehen feierte.

Hallo zusammen und Merci, habt ihr euch Zeit genommen. Gilles und Kirke, ihr kennt Aktivismus aus eigener Erfahrung, worüber ich mit euch sprechen möchte. Doch könnt ihr uns zuerst erzählen, wen ihr vertretet?

Kirke: Die Socordia ist eine anerkannte Student*innen-Verbindung und die erste feministische der Uni Basel. Wir gründeten sie am Frauenstreik 2020, weil wir damals seit einem Jahr auf die Antwort der Universität auf 52 von uns aufgestellten Forderungen warteten. Die Gründung fanden wir ein gutes Statement dafür, dass wir nicht aufhören.
Unsere Anliegen ist es, feministische Debatten an der Uni Basel zu fördern. Wir wollen ihnen ein Raum geben und auch ein Gefäss schaffen für Kompliz*innenschaft, wie wir sagen. Daneben machen wir aber auch Hochschulpolitik und freudvollen Aktivismus. 

Ohne dass wir überhaupt eine Aktion gemacht hatten, erhielten wir schon so eine Reaktion.

Und was ist euer Fazit nach diesem ersten Jahr?

K: Grundsätzlich ist der Streik immer das Highlight. Am Gründungstag wurden wir ja auch gleich eingekesselt und festgenommen, das war vielleicht eher ein Tiefpunkt. Spannend waren aber auch die Reaktionen auf unsere Gründung. Es gab sofort einen Shitstorm. Und das war schon interessant: Ohne dass wir überhaupt eine Aktion gemacht, also noch nichts ins Wanken gebracht hatten, erhielten wir schon so eine Reaktion. Das hat uns natürlich noch einmal befeuert, dass es feministische Verbindungen braucht. Und in der Zwischenzeit haben wir auch eine ausführliche Antwort auf unsere Forderungen erhalten.

Die Socordia hat für die Zeitschrift sirène ebenfalls ein Artikel geschrieben. Gilles, was steckt hinter diesem Heft?

Gilles: Die sirène entstand aus einer Kooperation der Langen Nacht der Kritik (LNDK) von Zürich und Basel. Weil wir die Zusammenarbeit interessant fanden, entschieden wir uns spontan, eine Zeitung zu machen. Wir wollten einfach mit Leuten zusammenarbeiten, die das Gleiche machen wie wir. Richtig real wurde das Projekt aber erst, als Corona kam und wir uns in dem Moment nicht mehr treffen konnten. Ab da wurde das schriftliche Arbeiten auch strategisch spannend.
Die Redaktion selbst ist ein recht kleines Team, aber die Beiträge schrieben und bearbeiteten ca. 15-25 Personen aus der ganzen Schweiz. Das Resultat ist ein mehrsprachiges Heft und eine Zusammenarbeit zwischen sechs Städten.

Als Student hatte ich das Gefühl, einfach eine Nummer zu sein.

Gilles, kannst du die LNDK für alle, die noch nicht von ihr gehört haben, kurz vorstellen?

G: Die LNDK ist ursprünglich als Gegenveranstaltung der Langen Nacht der Karriere initiiert worden und hat nun schon fünf Mal stattgefunden. In Basel wurden ihre Anliegen vor allem 2018 im Zuge der Sparmassnahmen bekannt, was ja damals einen Aufstand und eine Demonstration auslöste. Das Ziel der LNDK ist, dass gesellschaftskritische Perspektiven im wissenschaftlichen Schaffen mehr ins Zentrum gerückt werden. Ausserdem wollen wir, dass Studierende mehr partizipieren können, wenn es darum geht, was gelehrt wird. Die LNDK ist in dem Sinne einfach ein ergänzender Anlass mit dem Ziel, selber Bildung zu machen.

Viele Studierende sind mit der Universität mehr oder weniger zufrieden und engagieren sich demnach auch nicht. Was weckte in euch den Wunsch zu partizipieren?

G: Als Student hatte ich das Gefühl, einfach eine Nummer zu sein und dass sich die Universität nicht für mich interessiert. Ich sah, dass sie zwar humanistische Werte verteidigt, aber die Menschen, die dort arbeiten oder sich bilden, für sie nicht wirklich relevant sind. Und das war die Grundlage für mich, politisch aktiv zu werden.

K: Ich finde einfach krass, dass wir der grösste Teil der Universität ausmachen, aber trotzdem interessiert sich niemand für die Studierenden. Und wir haben auch wenig Mitspracherecht. In den institutionellen Kommissionen, wo Sachen abgestimmt und entschieden werden, gibt es zwar jeweils eine Studierende-Vertretung. Das ist aber immer nur jemand. Und von anderen Gruppen, wie den Professoren, sind immer um die zehn Vertreter*innen da.

Zu wählen, welche Blume aus diesem Strauss die schönste ist, ist schwer zu sagen. Das gilt auch für die Formen des Aktivismus.

Wie ist es denn, zu versuchen, die Hochschulpolitik zu verändern?

K: Es war eine gute Entscheidung, die Schnecke als unser Symboltier zu wählen, denn es geht alles sehr langsam. Ich glaube halt auch, dass die Uni nicht wirklich Interesse daran hat, sich zu verändern. Für Viele in den Machtpositionen funktioniert es gut, so wie es ist. Die Universität Basel will zwar, dass Schlagworte wie Gleichstellung und Diversität zu ihrem Image gehören, sie bleiben aber oft ohne Inhalt. Wir forderten z.B., dass es für Transmenschen unkompliziert möglich sein sollte, die Geschlechtsidentität zu ändern. Es wurde zwar erreicht, dass nun die Änderung ohne Gutachten möglich wird. Es gibt aber immer noch keine Option für non-binäre Menschen, sondern nur für Mann und Frau.
Das heisst, wer Veränderung möchte, muss einfach immer dran bleiben. Und wenn sie sagen, dass dies und jenes erfüllt sei, muss kontrolliert werden, ob es wirklich so ist. Und oft ist es das nicht.

Wir sprachen über Partizipation. Welche Formen gibt es denn für Studierende, um aktiv zu werden und sich Gehör zu verschaffen? Oder anders: Was ist in euren Augen Aktivismus?

G: Ich dachte jetzt spontan an einen Blumenstrauss. Zu wählen, welche Blume aus diesem Strauss die schönste ist, ist schwer zu sagen. Das gilt auch für die Formen des Aktivismus. Es braucht in dem Sinn immer eine Vielfalt von Methoden. Ich denke, man muss selbst rausfinden, was für einem Aktivismus bedeutet. Für mich persönlich ist es, zu probieren ausserhalb der Institution politisch aktiv zu werden, um sie und die Gesellschaft zu verändern.
Aktivismus innerhalb der Institution geht vielleicht auch, müsste aber wohl anders heissen. Für mich persönlich haben nämlich z.B. Fachgruppen nicht funktioniert. Sie sind zwar ein sehr wichtiges und spannendes Gefäss, aber auch beschränkt, weil sie selbst zu fest im System verankert sind.

Ich finde, es ist auch wichtig, den ganzen unsichtbaren Aktivismus, wie Kommissionsarbeit, zu sehen.

K: Die Frage, wer überhaupt Aktivismus machen kann, ist eine spannende. Als Studierende sind wir ja auch Teil der Institution. Aber ich finde, es kommt auch sehr auf die Machtposition innerhalb dieser Hierarchie an. Darum denke ich schon, dass man auch innerhalb der Institution, also auf dem institutionellen Weg, aktivistisch sein kann. Vielleicht würden nicht alle ein formeller Antrag als aktivistisch bezeichnen. Aber ich finde, es ist auch wichtig, den ganzen unsichtbaren Aktivismus, wie Kommissionsarbeit, zu sehen. Das ist alles auch unbezahlt und mühselig aber für die Veränderung unbedingt notwendig.

G: ich glaube, schlussendlich ist es vor allem wichtig, dass man versucht, die Anliegen nicht alleine, sondern im Kollektiv durch zu bringen. Zusammen geht es einfach besser. Man muss versuchen, Leute zusammen zu bringen, die, die gleichen Probleme haben und versuchen, darüber zu reden und eine gemeinsame Sprache zu finden.

Wenn ich aus dem Aktivismus Freude ziehen kann, dann weiss ich nicht, wie er scheitern sollte.

Kirke, du sprachst vorher vom ‘freudvollen Aktivismus’, was sehr harmonisch tönt. Gibt es davon auch Grenzen? Wenn, wie du sagtest, eine Uni jahrelang nicht auf Forderungen antwortet, muss man dann härtere Geschütze auffahren?

K: Lustigerweise zählten für mich unsere Forderungen, also der formelle Weg, nicht zum freudvollen Aktivismus. Der freudvolle Aktivismus war erst unsere Reaktion darauf, dass auf institutionellem Weg nichts ging. Darum gründeten wir ja die Socordia, um andere Dinge zu machen. Wir sind eine Verbindung und manchmal wollen wir uns auch einfach nur treffen, trinken und Erfahrungen austauschen. Und so können wird ein Netzwerk knüpfen. Das ist wichtig, weil viel an den Universitäten über Beziehungen läuft, es aber meist Männernetzwerke sind. So was ist für mich eher freudvoller Aktivismus. Und wenn ich aus dem Aktivismus Freude ziehen kann, dann weiss ich nicht, wie er scheitern sollte. 

Zum Schluss noch mal die Grundsatzfrage: Warum ist es überhaupt wichtig, dass Hochschulen sich mit politischen Fragen auseinandersetzen? Sind sie überhaupt in einer politischen Verantwortung?

G: Ja, weil sie nicht privat sind. Ich finde die Trennung zwischen privat und öffentlich zwar problematisch, aber das ist die Gesellschaft, in der wir leben. Und die Universität ist kein privater Ort und was dort läuft, ist deshalb politisch. Unsere Unis gibt es ja, weil Wissenschaftler sich vom Kirchenstaat befreien wollten, was dann institutionalisiert wurde. Unsere Wissenschaft ist also eine emanzipatorische Wissenschaft, die versucht, die Welt zu verstehen und daraus auch Konsequenzen fürs eigene Leben zu ziehen. Ich finde, das ist ein politisches und auch demokratisches Projekt.

K: Genau. Bei der Gleichstellung kann man ausserdem auch ganz trocken sagen, dass die Universität der Verfassung zu folgen hat und auch so einen politischen Auftrag hat. Darüber hinaus ist sie natürlich eine Bildungsinstitution und sollte als solche auch demokratische Werte wie Gleichheit und Gerechtigkeit fördern. Und schlussendlich ist sie der Ort, wo Wissen generiert wird und in dem Sinne auch eine Wahrheit entsteht und darum hat sie für mich ethische Pflicht.

Was sind eure nächsten Projekte und Aktionen?

K: Bei uns ist der nächste Schritt die Suche nach Finanzierung. Wir suchen jetzt Gönner*innen, denn wir hätten gerne ein Verbindungslokal. Was noch geplant ist, ist ein feministisch-rassistisch-kritischer Lesekreis und etwas, dass wir schon immer machten, ist, dass wir uns die Semesterapparate anschauen und zählen, wie viele Autor*innen darin vertreten sind. Wir wollen so die Zahlen etwas transparent machen.

G: Das finde ich tolle Ziele. Bei uns sieht es im Moment weniger konkret aus. Wir konnten letztes Jahr die sirène nicht wirklich an die Leute bringen, weil die Hochschulen zu waren. Darum wollen wir uns im Sommer treffen, um sie nachzudrucken und im Herbst dann zu verteilen. Und ausserdem planen wir dann auch ein Aktionstag, wo die Zeitung und auch die LNDK im Zentrum stehen soll. Aber im Moment ist das alles noch nicht so klar, weil bei beiden gerade ein Generationenwechsel ansteht. Wir werden sehen, wie sich das alles entwickeln wird.  

Danke vielmals fürs Gespräch und viel Erfolg bei euren Anliegen.


Weiterführende Links:

– Socordia im Web und auf Instagram  

– Homepage Lange Nacht der Kritik

– Informationen zu aktuellen Bildungsaufständen

– Download-Link SIRÈNE-PDF


Titelbild: Kirke

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