Überlegungen zur Verwendung des generischen Femininum in schriftlichen Arbeiten – einige Argumentationslinien. Von Florian Zoller und Christina Zinsstag

Mit dem generischen Femininum ist die konsequente Verwendung des weiblichen statt des männlichen Substantives in Texten gemeint. Dies soll nicht heissen, dass männliche Nomen verweiblicht werden (etwa statt „der Roboter“ „die Roboterin“), sondern, dass beispielsweise bei Berufsbezeichnungen nicht nur die männliche, oder die weibliche und die männliche Form, sondern ausschliesslich die weibliche Form für alle Geschlechter verwendet wird. Dieser Artikel ist das Ergebnis einer schriftlich geführten Pro-und-Contra-Debatte zwischen den Autorinnen.

Geschlecht wird hier nicht als fixe Tatsache verhandelt, sondern als eine Konstruktion, welche in ihrer Produktion über die Binarität Mann/Frau hinausgeht. Geschlecht ist keine objektive oder neutrale Kategorie. Geschlecht wird vielmehr ständig produziert, weil wir einander als geschlechtliche und sexuelle Wesen begegnen müssen und wollen. Auf diese Weise wird die Realität von Geschlechtlichkeit einerseits betont und andererseits deutlich, dass diese nicht einfach nur gegeben ist, sondern ständig verhandelt, de- und rekonstruiert wird.



Argumente

Was haben die Frauen denn tatsächlich gemacht?
Ein Hauptzweck der Verwendung des generischen Femininum ist die Frage: Was haben Frauen denn tatsächlich gemacht? Gerade in historischen Arbeiten ist die Überpräsenz männlicher Akteure oft eine Tatsache. Die Handlungen von Frauen sind dagegen oft unsichtbar. Das generische Femininum stellt einen immer wieder vor die Frage: Macht es Sinn, hier die weibliche Form für alle zu verwenden? Wenn ja, muss erklärt werden weshalb? Wenn nein, macht es Sinn ausnahmsweise das generische Maskulinum zu verwenden und zu erklären weshalb? Somit wird letztlich bezüglich beider Geschlechter mehr Sichtbarkeit und Bewusstsein geschaffen.

Sprache als historisch gewachsen.
Die Verwendung des generischen Femininums legt den kontinuierlichen Einfluss von Sprache auf Inhalt offen und problematisiert diesen. Sie macht deutlich, wie Sprache verbirgt und hervorhebt, wie die Grenzen eines Begriffs und seiner Bedeutung klar und gleichzeitig verschwommen sein können und dass dies auch mit Machtbeziehungen zusammenhängt. Deutlich wird auch, dass Sprache sich in einem ständigen Wandel befindet und daher a) auch einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Vergangenen hat und b) nicht wie ein Bild im Museum vor dem Verfall geschützt werden muss sondern durch eben diesen Wandel lebt.

Schriftliche Arbeiten als Experiment für Sprache.
Schriftliche Arbeiten an der Universität, wie etwa Proseminararbeiten, haben vor allem im Bachelor die Funktion, dass das wissenschaftliche Arbeiten erlernt und geübt wird. Es bietet sich also in solchen Arbeiten an, mit der Sprache zu experimentieren (nicht nur bezüglich des Geschlechts) und zu schauen, wie die Leserinnen und die betreuende Dozentin reagieren. Dies verhilft nicht zu Letzt dem eigenen Sprachgefühl. Bemerkungen zur verwendeten Sprache haben in wissenschaftlichen Arbeiten genauso Platz, wie inhaltliche.



Einwände

Anachronismus-Argument.
Historische Arbeiten beschäftigen sich mit der Vergangenheit und haben den Anspruch, diese so korrekt wie möglich zu rekonstruieren. Gerade weil die Sprache Realitäten formen kann, läuft sie Gefahr, Dinge anders darzustellen als sie sind. Obschon die konsequente Verwendung des generischen Femininums für eine wichtige Thematik sensibilisiert, verzerrt diese die historische Vergangenheit. Wenn bspw. im mittelalterlichen Zunftwesen Handwerkerberufe nur den Männern vorbehalten gewesen sind, sollten dies auch sprachlich auf adäquate Weise dargestellt werden.

Diskriminierungs-Argument.
Die Idee, konsequent das generische Femininum bei Arbeiten zu verwenden, ist als Gegengewicht zur männlich dominierenden Sprache zu begrüssen. Müsste aber dann nicht konsequenterweise der Gendergap verwendet werden? Gesetzt, es würde ständig nur das generische Femininum verwendet werden, so würden sich die Macht- und Hierarchieverhältnisse lediglich verschieben, statt sie aufzubrechen.

Inhalt wichtiger als Form.
Generell gilt gerade für historische Arbeiten, dass der Inhalt des Textes wichtiger als die Form ist. Natürlich formt die Art und Weise des Schreibens den Inhalt mit, doch geht es in historischen Arbeiten primär um Quellenkritik und –interpretation und weniger um Fragen der Linguistik oder der queer-feministischen Theorie. Die Form der Arbeit sollte nicht deren Inhalt überrangen, denn dafür sind die Ressourcen einer (Pro-)Seminararbeit schlicht zu klein. Auch wenn v. a. die Proseminarstufe ein Experimentierfeld darstellt und es auf alle Fälle den Versuch wert ist, konsequent das generische Femininum zu verwenden – schon nur dem Feedback und somit dem Machtverhältnis zwischen Dozierenden und Studierende wegen – müssen in dieser Stufe primär die Grundfertigkeiten des Geschichtsstudiums erlernt werden.



Zu den Einwänden

Zum Anachronismus.
Ja, die Verwendung des generischen Femininums kann zum Teil einen gewissen Anachronismus erwecken, wenn beispielsweise über eine Berufsgruppe geschrieben wird, die dazumal nur von Männern ausgeübt werden durfte/konnte. In diesem Fall ist es jedoch lohnenswert, sich genauer zu erkunden und entweder explizit zu erklären warum hier doch die Verwendung eines generischen Maskulinums, oder andere Schreibweisen, sinnvoll sind oder aber aufzuzeigen, wie Frauen trotzdem in diesen Beruf involviert waren. Deswegen sehe ich in dieser „anachronistischen Tendenz“ auch eine Herausforderung, mich näher mit den Geschlechter-verhältnissen von damals zu befassen. Ausserdem: Ist das generische Maskulinum nicht genauso anachronistisch?

Wäre der Gendergap oder der Stern* nicht besser?
Mir scheint das generische Femininum sogar radikaler als die neutrale Verwendung von beiden Geschlechtern, des Gendergaps oder des Sterns*, die auf mehr als nur zwei Geschlechter verweisen (und definitiv auch die Verwendung in einer Arbeit wert sind). Beim generischen Femininum geht es auch darum alle Geschlechter zu meinen, ohne dabei jedoch möglichst neutral zu sein, sondern vielmehr mit einer definitiv minoritären Haltung: Es wird in erster Linie auf eine Minderheit verwiesen und in zweiter Linie der Blick darauf geöffnet, dass eigentlich mehrere Geschlechter gemeint sind.

Inhalt und Form.
Schlussendlich sind Inhalt und Form nicht so klar zu trennen wir ihre sprachliche Fassung in eigenständige Begriffe behaupten mag. In jedem einzelnen Wort gehen Form und Inhalt in einander über. So ist es eine Tatsache, dass wir beim Erlernen der „Grundfertigkeiten des Geschichtsstudiums“ unweigerlich unbewusst und/oder bewusst auch eine Form der Sprache und spezifische Diskurse erlernen. Es gehört zur Bildung eines eigenen, politischen Bewusstseins, den Prozess der Form neben dem Inhalt nicht unbewusst abzuwickeln, sondern ihn ernst zu nehmen.



Ein Appell

Wir sind es so gewohnt, das Männliche in den Wissenschaften, als Standard, als Norm, ja als ‘neutral’ anzunehmen, dass wir gar nicht merken, dass wir damit auch unsere Wahrnehmung verzerren und diese Verzerrung kontinuierlich bestätigen. Das generische Femininum kann ein Mittel sein, diese Verzerrung überhaupt wahrzunehmen, zu korrigieren, vielleicht sogar zu verlernen. Denn eine neutrale Sprache gibt es nicht. Sprache ist das Produkt historischer Prozesse und Machtstrukturen. Verzerrungen in unserer Wahrnehmung sind daher unvermeidbar, sie ergeben sich aus unserer Situiertheit in der Gesellschaft. Sich an ihnen abzuarbeiten ist daher ein wichtiger Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens.



Bild: Dieses Bild stammt von Man who has it all, ein satirischer Twitter-Account und Facebook-Profil, in welchem die Geschlechterrollen umgedreht und parodiert werden.

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