Von Valentina Jordan
Mitten auf der Lichtung in einem tiefen Wald
geboren aus Verdichtung von Gedanke und Gestalt,
steht eine junge Seele und blickt verwirrt um sich,
sie weiss nicht, wo sie ist, sie weiss eigentlich noch nichts –
und sie weiss noch nicht, was Angst ist und hat doch Angst sich zu verliern‘,
doch eine andre Seele sieht es und hat Mitleid mit ihr.
Und die alte Seele nimmt die junge an der Hand
und sie sagt ihr: „komm mein Kind
wir gehn‘ ein kleines Stück zusamm‘.
Ich hab im Leben viel gesehen
und so vieles erlebt.
Wovon soll ich dir erzählen,
gibt’s da was, was dich bewegt?“
Die junge Seele meint: „Ich weiss es nicht so richtig –
sag mir alte Seele, was denSkst du wäre wichtig?“
Die alte Seele lacht: „Weisst du,
bevor ich es noch aufschiebe –
lass mich dir erzählen von der Liebe.“
„Siehst du dort,
dort oben auf den Baumästen –
dort bauen Tauben ihre Nester.
Die Taube – sie liebt aus Idealismus,
sie liebt aus Überzeugung und blindem Optimismus,
denn die Liebe, sie besiegt alle Tränen und den Krieg,
und ihre Liebe, sie belebt, was schon tot ist und was lebt,
und ihre Liebe, sie bedeckt all den Schmutz und all den Dreck,
und ihre Liebe, sie verwischt, was die Wahrheit wirklich ist.
Denn die Wahrheit ist nicht schön,
doch das wollen sie nicht sehn‘
und daher gibt es viele Dinge, die die Tauben nicht verstehn’.
Weisst du, mein Kind, ein Idealist,
sieht die Welt nicht wie sie ist,
liebt dich nicht dafür, wer du bist,
ja ein Idealist
jagt ständig seinen Idealen nach,
etwas Surrealem,
etwas Transzendentalen nach
und dabei, mein Kind,
verpasst er das Banale, das reale, so geniale imperfekte Triviale.
Hast du schon einmal die Tauben in der Stadt gesehn‘,
zerrupft und ganz befleckt, voller Staub und voller Dreck?
Wer in Idealen schwebt, kann am Realen zerbrechen,
wer in den Wolken lebt, der muss mit Stürzen rechnen,
und genau solche Geschichten sind den Stadttauben passiert,
sieh sie dir an – sie sind vollkommen desillusioniert.“
„Mein Kind, wenn du wirklich lieben willst,
mit einem wirklichen Gefühl,
dann musst du die Dinge sehen, wie sie wirklich sind,
dann musst du die Welt nehmen, wie sie wirklich ist.
Kind, mir ist es wirklich wichtig,
dass du das nicht vergisst.“
„Und nun schau her, da ist der Fuchs
er liebt aus Egoismus,
ihm geht es nicht um andere, ihm gehts um seinen Einfluss.
Er spürt genau, was den anderen am meisten bewegt,
er lebt davon, dass er deine tiefsten Sehnsüchte belebt,
er lebt davon, dass er anderen das gibt, was sie brauchen,
er lebt davon, dass andere von ihm geliebt zu sein glauben.
Und er passt sich dabei an, er spielt immer eine Rolle
und er spielt sie wirklich gut, er ist Meister der Kontrolle,
aber gleichzeitig läuft er Gefahr sie zu verliern‘,
denn Kontrolle macht süchtig und er will viel zu viel
und er begreift nicht, dass er sich selbst in diesem Spiel verliert,
sich darin auflöst und ständig etwas projiziert
und manchmal,
manchmal sucht er sein wahres Gesicht,
aber zwischen all den Masken findet er es nicht.“
„Wer sich selbst nicht mehr kennt, muss jemand andres sein,
und wer nicht echt sein kann, der bleibt auf Dauer allein.
Deshalb, mein Kind, bleib in der Liebe immer ehrlich –
denn wie’s der Fuchs macht ist’s gefährlich.“
„Doch sieh mal dort:
Das kleine Tier, das man kaum sehen kann;
es ist die Maus, die Maus liebt aus Angst.
Die Maus will nicht alleine sein,
sie fürchtet sich vor Einsamkeit,
sie klammert sich an jeden ran
und bindet ihn mit Ketten an.
Sie liebt bedingungslos – sie hat keine Ansprüche,
alles ist besser als Panikattacken und Schweissausbrüche…
… und sie verkauft sich immer unter ihrem Wert,
sie lässt sich viel zu viel gefalln’, damit sie jemanden gefällt,
sie liebt eigentlich nicht wirklich,
sie stillt nur ihre Angst
und deshalb macht es sie nicht glücklich,
denn sie macht es aus Zwang.
Denn wer liebt aus Furcht,
der wird ständig gejagt,
er wird von Ängsten geplagt,
er hat Alpträume am helllichten Tag.
Und sie sucht die Rettung irgendwo da draussen,
sie sucht und sie hastet ohne Rast und ohne Pause,
bis sie irgendwann
nicht mehr kämpfen kann.“
„Mein Kind, wer sein Glück draussen sucht, der wird nichts finden.
Glaube, Liebe, Hoffnung liegen in uns drinnen.“
Der Tag neigt sich dem Ende zu und mit dem letzten Sonnenlicht
meint die alte Seele: „Kind, hier trennen unsere Wege sich.“
Die junge Seele seufzt und bedankt sich bei der alten:
„Glaub mir alte Seele, ich will dich nicht länger aufhalten –
aber eins weiss ich noch nicht.
Sag mir, welches Tier bin ich?“
„Du bist der Mensch, das Tier, das alle Tiere in sich trägt –
das Tier das lebt und nicht nur überlebt.
Das Tier, das versucht, so viel mehr als ein Tier zu sein und dabei kläglich scheitern muss an seiner Unvollkommenheit.
Wir haben nur zwei Beine, um unsren Ängsten zu entfliehen
und wir haben keine Flügel – keine Flügel um zu fliegen…
… wir haben Füsse, die sich am Boden abschleifen,
Hände – Hände, die nach Sternen greifen.
Wir sind Staub und wir sind Licht zugleich
und eine Hand in unsrer Hand macht uns so unbegreiflich reich,
wir könn’ kaum laufen, aber sieh mal wie wir tanzen,
wie wir unsre Spuren in den harten Boden einstanzen
trotz des Wissens, dass wir irgendwann vergehn‘,
dass wir diese Welt verlassen, ohne etwas zu verstehn‘ –
und wir lieben,
wir lieben, weil wir so vergänglich sind,
weil wir so lebendig sind,
wir lieben, weil wir Menschen sind.
Und wir sind manchmal so gut darin und manchmal so schlecht,
und es ist manchmal so falsch und manchmal so echt,
und wir lernen dazu und wir lernen es nicht,
und sobald wir es verstehen, verändert es sich.“
„Dir ist so vieles geschenkt, das Glück und das Leid,
du bist in so vielem begrenzt, vor allem in der Zeit.
Liebe nicht aus Idealen, Egoismus oder Angst.
Du bist Mensch – du liebst weil du nicht anders kannst.“
Titelbild: Valentina Jordan
Wow wunderschön
Wow Wunderschön!
Das hat mich sehr berührt. Danke, dass wir das lesen können!