Daheim wohnen ist günstiger

Sie sind dauerbekifft, faul und wissen nicht, was schaffen heisst. So die Vorurteile gegen Studierende. Wie leben die jungen Menschen wirklich? Von Tobias Brunner

Für über 12’000 Studierende hat vor zwei Wochen an der Universität Basel das Herbstsemester begonnen. Nicht wenige davon sind in geisteswissenschaftlichen Fächern eingeschrieben. Auf Studienanfänger*innen der Geisteswissenschaften kommen dann neben vielen neuen Erfahrungen auch altbekannte Klischees zu: Sie seien faul, dauerbekifft und finanziell von den Eltern abhängig. Mit solchen Vorwürfen sorgte zuletzt etwa die Dozentin Andrea Franc in einem NZZ-Interview für Aufsehen. Sie kritisiert darin eine verwerfliche Haltung, einen Lebensstil, für den man nicht einmal selbst aufkommt. Doch wie leben Studierende wirklich? Tobias Brunner, selbst Student, hat sich an der Uni umgehört.

Dieser Text ist bereits auf unserem Partnerportal Bajour erschienen.

Samuel wird von seinen Eltern unterstützt. Seinen Nebenjob in der Gastro hat er in der Corona-Krise verloren.

Samuel

Zwischen Petersplatz und Kollegienhaus unterhalte ich mich mit Samuel. Er steht kurz vor dem Übertritt ins Master-Studium und hat bis vor kurzem noch zu Hause gewohnt. Dass der Abschied aus dem Elternhaus bei ihm länger gedauert hat, war für Samuel kein Problem: «Ich habe jüngere Geschwister und so hat es sich lange angefühlt wie normales Familienleben. Sie gehen zur Schule, ich an die Uni.» 

Neben der Unterstützung durch die Wohnsituation haben Samuels Eltern von Beginn an die Studiengebühren übernommen. Den restlichen Lebensunterhalt hat er mit Ersparnissen vom Zivildienst und über Nebenjobs finanziert. In der Hochphase der Pandemie, als seine Stelle im Service weggefallen ist, erhielt er von seinen Eltern wieder Taschengeld. 

Als die Krise wieder abebbte, bot sich ihm die Möglichkeit, in den alten Job zurückzukehren. Doch das war für Samuel keine Option mehr: «Ich hatte gemerkt, dass ich etwas anderes will. Weil es nicht genug Geld gab, um von zu Hause auszuziehen, und die Arbeitszeiten gleichzeitig mies waren.» Der Plan, sich «etwas Richtiges» zu suchen, um auf eigenen Beinen zu stehen, stand schon länger. Das Ende der coronabedingten Pause war dann einfach die passende Gelegenheit für den Jobwechsel.

Ohne Unterstützung ihrer Eltern würden viele Student*innen länger studieren müssen.

Rebecca

Bei Rebecca, die noch dieses Jahr ihr Studium abschliessen will, sieht die Situation ganz ähnlich aus. Bei ihr ist die finanzielle Unterstützung durch die Eltern explizit an das Leben im Elternhaus geknüpft: «Der Deal war: Solange mein Bruder und ich in Basel studieren und daher zuhause wohnen, finanzieren sie uns alles, was mit dem Studium zu tun hat.» Gleichzeitig hat Rebecca auch immer zwischen 20 und 40 Prozent gearbeitet und damit Hobbys und Ferien finanziert. 

Während es in Rebeccas Fall vor allem eine Frage des Willens ist, dass die Eltern nicht auch noch die Miete für ein WG-Zimmer zahlen, fehlt es in anderen Haushalten schlicht an den finanziellen Mitteln. Das ist sich Rebecca bewusst und sie ist ihren Eltern für ihre privilegierte Situation dankbar: «Ich müsste viel mehr arbeiten, um selbst über die Runden zu kommen. Klar würde es gehen, ich hätte dann einfach noch länger mit dem Studium.»

Dominique konnte im Betrieb seiner Eltern arbeiten. Er weiss, dass es nicht selbstverständlich ist, dass das so gut klappt.

Dominique

Eine andere Art der Unterstützung erfährt Dominique durch seine Anstellung im Familienunternehmen: «Meine Eltern hatten schon lange eine IT-Firma, die sie zu zweit betrieben haben.» Am Anfang habe er nur als Ferienjob etwas ausgeholfen, «später war ich dann festangestellt und habe je nach Auslastung an der Uni mehr oder weniger Stunden in der Woche gearbeitet».

Nicht nur während der Pandemie war dieses sichere Einkommen für Dominique sehr wertvoll: «Es war angenehm, dass ich mich nicht immer um die Jobsuche kümmern musste.» Denn auch das kann Zeit kosten, die dann im Studium fehlt. Trotz der bequemen Ausgangslage musste Dominique im Job auch einiges an Eigeninitiative und Selbstdisziplin zeigen: «Ich habe mir die meisten Fähigkeiten selbst angeeignet, während ich es gemacht habe.»

In Dominiques Fall sorgt das gute Verhältnis zu seinen Eltern dafür, dass berufliche Konflikte nicht zu privaten werden. Das ist nicht immer so, das ist sich Dominique bewusst. Gleichzeitig sei es aber immer noch ein bisschen «so wie früher zu Hause», sagt er. «Auch wenn ich schon lange nicht mehr bei meinen Eltern wohne, fühlt es sich trotzdem nicht an, als würde ich in eine Firma fahren, um dort zu arbeiten.»

Dominique schliesst sein Studium bald ab und damit geht auch die Zusammenarbeit mit seinen Eltern ihrem Ende entgegen, auch weil sie langsam das Pensionsalter erreichen: «Ich habe das Gefühl, sie würden ewig weitermachen. Aber ich will nicht, dass sie das tun.»

Das sagen die Zahlen

Studierende aus technischen und naturwissenschaftlichen Fächern sowie der Medizin finanzieren ihr Studium zu mehr als zwei Dritteln durch die Familie, während eigene Einnahmen nur einen Fünftel ausmachen, das besagen Daten des Bundesamts für Statistik.
In geisteswissenschaftlichen Fächern sind Studienpläne viel offener und man hat mehr freie Auswahl, wodurch eine stärkere Spezialisierung möglich und auch gewollt ist. Das hat aber auch zur Folge, dass je nach Fokus nicht in jedem Semester die passenden Vorlesungen angeboten werden.
Auch die vielen ausführlichen schriftlichen Arbeiten, die in den meisten geisteswissenschaftlichen Fächern anstelle von Halbjahresprüfungen geschrieben werden müssen, können die Studiendauer verlängern.
Entgegen dem Klischee führt das aber nicht zu mehr Abhängigkeit von den Eltern, sondern eher zum Gegenteil. So werden die Einnahmen von Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften nur zur Hälfte durch die Familie bereitgestellt.
Das klingt nach viel, ist im Vergleich zu anderen Fachbereichen aber der tiefste Wert. Bei den Einnahmen durch Erwerbstätigkeit führen diese Fächer hingegen die Rangliste an.

Ana

Ana hat ihr Studium ab dem zweiten Jahr durch verschiedene Jobs in der Kulturbranche praktisch alleine finanziert. Sie erzählt von ihrem Vater, der während seiner Zeit an der ETH zwei Jobs gleichzeitig hatte und damit die Messlatte relativ hoch gesetzt hat.

Ana spüre den Druck, weiss aber auch, dass dieser vor allem von ihr selbst kommt. «Eine Entspannung ist passiert, als ich gemerkt habe, dass es mir mit einem Philosophisch-Historischen Studium nichts bringt, da durchzustressen, um die Regelstudienzeit einzuhalten.»

Wichtiger war es ihr, schon während dem Studium irgendwo beruflich einzusteigen. Gerade in der Kultur gehöre dazu viel Freiwilligenarbeit: «Und auch das war wertvoll für meinen beruflichen Werdegang, aber kontraproduktiv fürs Studium.»

Mittlerweile geniesst Ana es, sich etwas mehr Zeit zu nehmen, auch wenn sie den Konflikt zwischen Arbeit und Uni aktuell sehr stark spüre. Das Studium wird sie abschliessen, nur schon weil man mit einem Master-Abschluss in der Tasche mehr verdiene, sagt sie. «Gleichzeitig macht es auch einfach Freude, ständig Neues zu lernen und sich intellektuell wie persönlich weiterzuentwickeln.»

Der berufliche Werdegang kann kontraproduktiv fürs Studium sein

Dieser Text ist bereits auf unserem Partnerportal Bajour erschienen.

Bilder: Tobias Brunner

*Tobias Brunner ist selbst Student der Medienwissenschaften und schreibt Texte für verschiedene Medien.


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