Die weihnachtliche Bescherung: eine Geschenkidee

Sprechen wir über die weihnachtliche Bescherung, an der wir jedes Jahr teilhaben. Die Christen haben es erfunden, wir dürfen heute damit leben. Wir sagen Danke! Von Léonard Wiesendanger

Wer liebt es nicht, das Fest der Liebe? Die Geburt Jesu ist zwar vergessen (das ist nicht weiter schlimm), das Weihnachtsfest lebt sich aber fröhlich fort. Wir gehen längst nicht mehr zur Messe und besingen dieser Tage auch keine heilige Nacht. Stattdessen erfreuen wir uns des musikalischen Klimbims einer Weihnachtspop-Playlist von Spotify: eingängige Melodien, ein monoton auf das Trommelfell hämmernder Viervierteltakt und verzierende Schlittenglöckchen fürs Ambiente, Texte über Weihnachtsfreude und Liebe, so farblos wie der Schnee, der gleichfalls besungen wird. Von der Bibelgeschichte geblieben: ein Sternschnuppenmotiv auf den Fenstern und Balkonen mancher Leute. 

Wie ihre Musik ist auch die Weihnacht heute universal und wird weltweit in unterschiedlichsten, westlich geprägten Kulturen gefeiert: ein Fest der Familie, ein Fest der Freunde, ein Fest der irgendwie gearteten Liebe, als Pleonasmus und universalistisch-redundant: ein Fest des Beisammenseins; auf der Nordhalbkugel im Winter insbesondere: ein Fest der Wärme, des Lichts und der Farben, der illuminierten Plastikdeko und der hässlichen Pullover. Universal ist auch das gute Essen und – das soll hier Thema sein – das Schenken.

Weihnachten ist ein Fest der Geschenke und das Geschenk spricht eine universale Sprache. Das Geschenk ist ein Zeichen, das die Beziehung zwischen zwei Personen oder Gruppen, schenkender und beschenkter, zur Sprache bringt. Das Geschenk wirkt konstitutiv, es etabliert, bestätigt oder beeinflusst. Die Menschen beschenken sich seit jeher untereinander, ihren Liebsten erbringen sie einen Liebesbeweis, Herrschern gegenüber errichten sie Tribut, Göttern erbringen sie Opfer. Das Geschenk entspricht einer Logik der Reziprozität, der Gegenseitigkeit, die sich bereits in den leuchtenden Kinderaugen erfüllt sehen kann. Auch opfern Eltern ihren Götterkindern: ihre Naturgewalt soll gebändigt werden. 

Das Geschenk ist eine einzige sprachliche Geste, ein performativer und manifestierter Ausspruch. Dass wir uns diesem Umstand nur noch bedingt bewusst sind, äussert sich in einem Trostspruch: „die Geste zählt“, wenn der Inhalt enttäuscht. Der Inhalt aber ist zentraler Bestandteil der Geste. In diesem Fall ist sie offensichtlich gescheitert, sofern sie das Gegenüber hätte erfreuen sollen. Trotz erster Enttäuschung, können die Mühen, die in das Geschenk geflossen sind, anerkannt werden. Auch sie sind Teil der Geste.

Im selben Zug wie wir die Geste vom Inhalt trennen, verabsolutieren wir diesen. Wir begreifen ihn als objektive Grösse und verkennen, dass selbst unser materieller Konsum ein Zeichenkonsum ist. Der Geschenkinhalt ist selbst Teil der Geste. Jeder Materialismus bleibt ideell, es steckt im Wort. Der Ismus ist eine Linse, durch welche wir die Welt sehen, begreifen und zur Sprache bringen: Unser Konsum ist auch nur ein Kult. Eine religiöse Praxis zur Überwindung der menschlichen Existenzerfahrung der Leere, in diesem Fall: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Wo liegt der Sinn? Wo liegt das Glück? Anstatt aber die existentielle Leere anzugehen, praktizieren wir eine Flucht nach vorn im sich wiederholenden Akt des Kaufes (und des Wegwerfens). Ohne dass uns dies bewusst wird, sind wir gezwungen, uns im Kaufakt ständig zu erneuern. Die gegenwärtige Wegwerfgesellschaft muss uns deshalb nicht verwundern. Sie ist Ergebnis einer Gesellschaft, die in den existentiellen Belangen der Identität und des Lebenssinns nur noch durch materielle Güter spricht. Eine Person kann dutzende Male ein Mantra aufsagen, oder sie kann bei H&M dutzende Kleidungsstücke kaufen.

Die Welt ist reich geworden und sie ist erfüllt von Licht. Die weihnachtliche Potenzierung des Konsums verweist uns auf die Wahlverwandtschaft, die zwischen Weihnachten und westlich-moderner, wirtschaftlicher Weltordnung besteht. Längst sorgt ein älterer Herr in den Farben Rot und Weiss wie aus der Coca Cola Werbung für die Kinderbescherung. Er hat sich auf das Christkindlein gesetzt. Wie wir selbst ist er wohlgenährt und stilbewusst gekleidet. Professionell lächelt er in die Kamera, während er seine Fabrikelfen am Nordpol ausbeutet und sie zeitgleich den Auswirkungen des Klimawandels schutzlos ausliefert. Das Fest der Liebe ist längst ein globales Phänomen, Lichter und Lieferketten umspannen den Globus. Aus finstrer Vergangenheit entsprang der volkstümliche Mittwinterbrauch und seine christliche Umdeutung, die Weihnacht. Sie wurde zur universalen Festivität einer illuminierten Gegenwart und eine Feier der materiellen Fülle. Wer braucht heute Erlösung, wir sind erlöst.

Was schenken? Wie? Zuallererst sollten wir ein Bewusstsein für die Sprachlichkeit des Geschenks entwickeln, die sich nicht in einer vom Geschenkinhalt getrennten Geste des gutgemeinten Versuchs erschöpft. Das Geschenk selbst ist Ausdruck der Beziehung. Fremden schenken wir deshalb Geld und Socken. Eltern wiederum haben genug um die Ohren, weshalb sie den Vorgang rationalisieren: Kinder sollen eine Wunschliste erstellen. Was einer indirekten Bestellung bei Amazon gleichkommt, schafft Planungssicherheit und hoffentlich einen ruhigen Heiligabend. Unter Gleichen stärkt das Geschenk idealerweise das Band, das sie verbindet. Die schenkende Person muss sich dafür nicht selbst verleugnen, im Gegenteil. Sie soll etwas schenken, das verbindet, das Ausdruck ist nicht nur der Zuneigung, aber der Kenntnis. Eine bereits bekannte Gemeinsamkeit wird vertieft, oder es wird der Versuch gewagt, eine neue zu erschliessen. Ein Geschenk kann zuletzt eine einfache Botschaft sein, ein Witz, eine Referenz. Das Finden einer Geschenkidee bleibt ein schwieriger, weil offener und kreativer Prozess.

In einem zweiten Schritt geht es daran, uns die Verabsolutierung der Konsumgüter zu vergegenwärtigen und sie zu hinterfragen. Der Konsum ist auch nur ein Kult und als solcher Ausdruck des immer anhaltenden menschlichen Verlangens nach Sinn und Identität. Auch hier heisst es, die Sprache wiederzufinden und ein Bewusstsein für sie zu schaffen, so dass wir nicht vom materiellen Konsum abhängen, aber in einem reflexiven Verhältnis zu ihm stehen, dass sich weder in blinder Bejahung noch blinder Verneinung erschöpft.

Begreifen wir also Weihnachten wortwörtlich: als Fest der Besinnung, mit klarem Blick auf ein Leben, das in all seinem Überfluss eine Leere zu füllen versucht, die nie endgültig zu füllen ist: die Wirkung jedes Zeichens erlischt und muss performativ erneuert werden. Wer noch kein Geschenk gekauft hat, der kann deshalb – so mein Vorschlag – ein eben solches Geschenk der Besinnung schenken: ein leeres Geschenk, ein Geschenk inhaltlicher Leere, und entschuldigend auf diesen Artikel verweisen. Ich wünsche eine besinnliche Weihnacht.

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