Wie wird Geschichte im Museum eigentlich dargestellt, und wie war das früher? Ein Essay über die Geschichte der Geschichte im Museum. Von Fenja Läser und Sarah Heinz
Antike Münzen neben ausgestopften tropischen Vögeln, Mumien und seltenen Kristallen, Gemälde grosser Meister neben Muschelschalen und römischen Statuen. Der Mensch sammelt gern. Doch nicht immer wurde in den Tempeln der gesammelten Schätze so fein ordentlich kategorisiert, wie man es sich heute gewohnt ist. Die frühen Wunderkammern und Kuriositätenkabinette, eine Art Vorläufer des Museums, unterschieden nicht zwischen natürlichen Gegenständen und Artefakten, zwischen Kunstwerken und Kristallen, Menschenschädeln und teuren Büchern über das Handwerk der Alchemie. Ein Ort gleichberechtigten Nebeneinanders, die reinste Demokratie.
Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. So zufällig die Anordnung von Narwalzähnen neben Königsportraits erscheinen mag — auch die Objekte dieser frühen Museen wurden ausgewählt, um eine Geschichte zu erzählen. Sie waren Wunder, oder zumindest so etwas wie Kuriositäten. Das Hemd des gemeinen mitteleuropäischen Bauern schaffte es kaum in eines dieser Kabinette. Schon eher das Hochzeitskleid einer Fürstin. Das bunte Durcheinander entstammte auch nicht einer grundsätzlichen Ignoranz der Sammlerinnen und Sammler gegenüber den unterschiedlichen Themenbereichen, denen ihre Schätze zuzuordnen wären. Die Breite und Vielfalt der ausgestellten Objekte sollte den Kosmos als Ganzes zum Ausdruck bringen und dem Publikum zu universaler Erkenntnis verhelfen. Die Auswahl ermöglichte den Besucherinnen und Besuchern – in aller Regel einem ausgewählten Kreis der Mächtigen und Gebildeten, manchmal sogar nur dem Fürsten selbst – die Gesamtheit der Schöpfung in den Blick zu nehmen.
Museum als Legitimation
Zu Produzenten und Vermittlern nationaler Geschichte wurden manche Museen im Zuge der Nationalstaatenbildung. Als während der französischen Revolution die Symbole der feudalen Ordnung fielen, wurde die königliche Kunstsammlung dadurch gerettet, dass sie zur Zeugin einer reichen Geschichte und Kultur des französischen Volkes stilisiert wurde, die es zu bewahren galt. Die Kunstsammlung wurde selbst zu einem historischen Museum. Sie war Garant einer gemeinsamen Vergangenheit, die zur Legitimierung von Nationalstaaten ihren Beitrag leistete. Die bürgerliche Öffentlichkeit, der diese vorher verborgenen Schätze nun zum ersten Mal zugänglich gemacht wurden, war zugleich selbst erst dabei, sich zu konstituieren. Der Blick auf die eigene Vergangenheit formte ihre entstehende Identität mit.
Nicht zufällig war das 19. Jahrhundert eine Zeit der Museumsgründungen. Zeitgleich mit der Etablierung der Geschichte als Wissenschaft wurden historisch ausgerichtete Sammlungen wichtig. Mit ihrem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und ihrer Darstellung eines Volkes als Nation halfen sie, die Bildung von Nationalstaaten zu legitimieren. Der Zusammenschluss einer Nation in einem Staat erschien, angesichts des in Geschichtswissenschaft und historischen Museen gezeigten gemeinsamen Schicksals, so natürlich wie der Wechsel der Jahreszeiten. Diese Erzählung lebte nicht mehr von mittelalterlichen Waffen neben ägyptischen Mumien, sondern von einer tendenziell chronologisch angeordneten Auswahl von Artefakten aus dem Leben einfacher und hervorragender Mitglieder der Nation sowie – mindestens ebenso wichtig – deren Feinden. Dass in der traditionellen nationalen Geschichtsschreibung sehr selektiv vorgegangen und aus dem Fundus vergangener Zeiten gezielt ausgewählt wird, das wissen wir. Schliesslich kritisieren wir es nur allzu gerne. Museen waren und sind manchmal noch heute Orte dieser nationalen Geschichten.
Die zur Darstellung der Geschichte ausgewählten Gegenstände lassen andere unsichtbar im Lager zurück (und man denke nur an all die Artefakte, die es nicht einmal bis ins Lager geschafft haben). Die Auswahl und Anordnung der Objekte sowie die Texte, die ihren Zusammenhang darstellen, bestimmen den Blick und die Interpretation der Besucherinnen und Besucher. Die Ausstellung im Museum ist immer eine Konstruktion, eine Auswahl, die hätte anders ausfallen können. Und sie erfüllt verschiedene Zwecke. Sei es die Festigung eines nationalen Bewusstseins oder, wenn beispielsweise Napoleon ausländische Diplomaten im Louvre empfing, die Repräsentation nach aussen.
Dekonstruktion als Narrativ
Solche Geschichten haben unter dem Eindruck der anhaltenden Kritik, die sie aus der akademischen Welt der Geschichtswissenschaft seit Jahren erfahren, ihren Rückzug aus vielen Ausstellungsräumen angetreten. Diese haben sich neu aufgestellt.
Ein beliebtes Narrativ zeitgenössischer Museen ist das der Dekonstruktion von herkömmlichen Erzählungen, gerade den nationalen: Das einheitliche Volk ist eine Fiktion, vertraute Artefakte der Heimat ein Import aus weit entfernten Gebieten, und Tell (nicht einmal auf ihn ist Verlass) eine Erfindung des Spätmittelalters. Doch Dekonstruktion ist auch ein Narrativ. Sie ist die Geschichte davon, wie die anderen Geschichten, die man uns früher erzählte, nur Konstruktionen waren, und wie all die Dinge, die darin nicht vorkamen, eigentlich ganz wichtig sind. Dekonstruktion ist also sozusagen auch Konstruktion. Ein grundlegendes Problem der Darstellung von Geschichte in Museen wird ebenso wenig überwunden: Die Kuratoren behalten die Interpretationshoheit. Die Ausstellung tritt mit der Autorität wissenschaftlicher Objektivität auf und verschleiert so – vielleicht zwangsläufig – den Prozess der Auswahl, der Konstruktion einer im Museum darstellbaren Erzählung. Wie aus dem Ei gepellt steht einem dann der historische Fakt gegenüber. Es bleibt kein Zweifel: So war‘s!
Also wie weiter? Den Gegenstand wieder mehr in den Vordergrund rücken? Möglichst auf sprachliche Kategorisierung verzichten? Dem Publikum Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung des Aufenthalts bereitstellen? Vielleicht auch, das Unsichtbare, im Depot Schlummernde, sichtbar machen und den Prozess des Ausstellens selbst ausstellen? Es bestehen Optionen. Doch auch in der heutigen Museumswelt ist kaum Verzweiflung angesagt: Nicht nur im Museum sondern tagtäglich werden uns Informationen aus mit Autorität ausgestatteten Quellen serviert. Sich die Geschichte hinter der Geschichte vorstellen zu können, ist auch beim Lesen der Tageszeitung und beim Surfen im Internet eine nützliche Fähigkeit.
Titelbild: Museum Wormianum (Original: Smithsonian Institution Libraries)