Tyre Extinguishers in der Schweiz – Mit Linsen gegen SUVs kämpfen

Tyre Extinguishers in Einsatz

Wenn andere gemütlich Tatort schauen, gehen die Mitglieder*innen von Tyre Extinguishers auf die Strasse und lassen die Luft bei SUVs und Geländefahrzeugen raus. Wer sind diese Personen, die gegen SUVs und die Automobilindustrie kämpfen und dabei möglicherweise das Gesetz brechen? Ein Bericht über den Zürcher Ableger von Tyre Extinguishers. Von Tomas Marik

Vormittags sitzen wir unter den Palmen und unterhalten uns über Autoreifen. Der Herbst ist da und der Zürcher Botanischer Garten lädt zum Verweilen ein oder zu einem Interview mit Karin und Kassandra* von Tyre Extinguishers. Sie sind ein Teil einer internationalen Bewegung, die im Schutz der Dunkelheit die Luft aus den Autoreifen der SUVs auslassen. Wer jetzt an zwei Teenager denkt, wird enttäuscht sein. Mir gegenüber sitzen zwei Frauen im fortgeschrittenen Alter. Den Kleidern nach zu urteilen, würde man sie eher im Kunsthaus erwarten, nicht an einer Demo, an der sie später in Bern teilnehmen werden. Auf einmal fällt das Duzen aus dem Mailverkehr schwer. Schnell den „Schock“ verdauen und das Interview kann beginnen.

SUVs – Ein Problem für das Klima

Zuerst erklären die Tyre Extinguishers mir, was ihre Daseinsberechtigung ist. Kassandra sagt mit trockener Stimme, der CO2-Ausstoss von SUVs sei so gross, dass wenn SUVs ein Staat wären, würden es an sechster Stelle im Ländervergleich landen. Dazu nimmt sie eine IEA Studie aus ihrem Rucksack und erzählt, dass der globale SUV-Verkauf während den Pandemiejahren zwischen 2020 und 2021 um ganze zehn Prozent gestiegen ist, dabei beträgt der Anteil an verkauften SUVs 45% des globalen Autohandels. Sie werden noch öfters aus der Studie zitieren. Karin fügt bei: „Und unser Ziel ist einfach – wirklich sie aus dem Verkehr zu nehmen, mit möglichst vielen Menschen die mitmachen – so dass ein Zeichen für das Klima gesetzt wird.“

Kassandra und Karin machen sich nichts vor, sie haben keine Hoffnung, die verklärten SUV-Fahrer*innen und Klimaleugner*innen zu einem Umdenken überzeugen zu können. Viele Aktionen in der Klimabewegung, wie die der Fridays for Future oder Scientists for Future plädieren primär an die Politik und suchen nach systematischen Lösungen.

Die Aktion der Tyre Extinguishers wirkt sich primär auf einzelne Menschen aus, deren Reifen ausgelassen werden. Kassandra findet jedoch, dass sie es vor allem auf die Autos und die Automobilindustrie abgesehen haben – fügt dann aber auch hinzu, dass sie mit ihrer Aktion Menschen erreichen möchten, die glauben, dass es eine gute Idee ist, mit einem derart schweren Wagen, der so viel Energie verbraucht, also auch die elektrischen SUVs, in der Stadt herumzufahren. Sie versteht jedoch, dass es Menschen gibt, die einen Geländewagen ihres Berufes wegen brauchen – die lassen sie auch in Ruhe, sagt sie. Dies erkenne sie an Gebrauchspuren und Firmenaufklebern auf den Autos.

Die Tyre Extinguishers in der Schweiz

Die Tyre Extinguishers ist eine lose Organisation ohne Hierarchiestruktur. Entstanden sind sie Anfangs 2022 in Grossbritannien, mittlerweile sind sie in ganz Europa und auch in Amerika tätig. In der Schweiz sind sie seit Frühling in Zürich und seit kurzem auch in Basel und in der Westschweiz tätig. In Zürich hat es mit Karin begonnen, sie hat ein paar Freunde aus der Klimabewegung gesammelt und die hiesige Zürcher Organisation gegründet. Heute sind sie circa zu zehnt am Werk. Auf die Frage nach dem Durchschnittsalter sagt Karin „35 plus plus plus“ – beide lachen. Ihr Alter sei halt von Vorteil, erklärt Kassandra, wer würde sie schon verdächtigen, dass sie in der Nacht die Reifen von Autos ausblasen.

Das Infoblatt der Tyre Extinguishers

Wer sind die „Täterinnen“ von Tyre Extinguishers?

Karin und Kassandra sind schon seit Langem politisch tätig. Aber erst seit vier Jahren in diversen Klimabewegungen engagieren sie sich beide verstärkt. Das Demonstrieren reicht ihnen nicht mehr. Ihnen zufolge werde zu wenig für das Klima gemacht, es würden zu wenige Anreize für einen klimafreundlichen Verkehr geboten. Enttäuscht bemerkt Kassandra, dass in China der SUV-Markt auf Kosten von kleineren Autos sinke, im Gegensatz zu dem immer steigenden Absatz in Europa und Amerika. Ihr sei bewusst, dass China eine Diktatur sei, dennoch könnten die Anreize in der Schweiz so gesetzt werden, dass sich das Fahren von SUVs nicht mehr lohnen würde.

Die Tyre Extinguishers bieten den beiden Frauen eine aktive Möglichkeit „etwas wirklich“ gegen die CO2-Schleuder zu unternehmen. Sie hoffen mit ihrer Aktion, möglichst viele Menschen zu erreichen, die sich ihnen anschliessen, bis es den SUV-Fahrern einfach zu lästig wird, ihre Autoreifen ständig aufpumpen zu müssen. Dass mittlerweile einige Anzeigen auf ihr Handeln bei der Polizei eingegangen sind, raube ihnen den Schlaf nicht, angenehm sei es trotzdem nicht. Sie möchten nicht vors Gericht kommen. Sie wissen, dass sie mit ihrem Handeln die Grenze des zivilen Ungehorsams überschreiten (Was ist ziviler Ungehorsam?), da in die Rechte von Einzelpersonen eingegriffen wird.

Sie nehmen aber eine mögliche Sachbeschädigung in Kauf, ihr Handeln sehen sie wegen dem Schaden der SUVs am Klima als gerechtfertigt. – Gerade in diesem Moment, taucht aus dem Nichts eine junge Frau auf, sie geht entschlossen auf uns zu, Kassandra sieht sie an und ist dann sichtbar erleichtert, als sie an uns vorbeispaziert. Es ist nicht das letzte Mal, dass diese Sorge vor dem „erwischt“ werden, sichtbar wird.

Was Kassandra und Karin am meisten an Tyre Extinguishers gefällt, ist dass sie einerseits international vernetzt sind und anderseits, dass sich ihre Aktionen gut neben ihrem Alltag erledigen lassen. In einer Nacht schaffen sie bis zu 30 SUVs in ungefähr zwei Stunden – und die Wirkung sei gross.

Linsen und Infoblätter sind für den abendlichen Einsatz bereit (Bild: Karin)

Ein nächtlicher Spaziergang mit Linsen in der Tasche

Wenn es dunkel wird und sich kaum Menschen auf der Strasse aufhalten, machen Karin, Kassandra und Weitere die SUVs in der Stadt unsicher. Ausgerüstet mit Linsen und mit Flyern. Die Linse wird auf dem aufgeschraubten Ventil platziert, danach wird die Ventilkapsel wieder zugedreht. Die Linse drückt das Ventil auf und lässt die Luft entweichen. „Was, du verwendest nur eine Linse?“ sagt Karin, sie verwende immer zwei Linsen – das gehe besser, beteuert sie. Nach dem die Luft aus den Reifen ist, platzieren sie ihr Infoblatt, in dem sie die Autofahrer*in über den Fahrzeugzustand informieren, gleichzeitig wird der Autofahrer*in vorgeworfen, dass „Ihr Spritfresser tötet“.

Die Verkehrssicherheit und die Sicherheit der Autofahrer*innen gefährde sie nicht. Neben einem platzierten Flyer hinter dem Scheibenwischer hofft Karin, dass die eingebauten Kontrollanzeigen auf die ungenügende Fahrtüchtigkeit der SUVs aufmerksam machen, bevor sie auf die Autobahn gelangen. Und wenn jemand aus dringenden Gründen sein Auto brauche, dann solle die Person es so lösen, wie jede andere, die kein Auto haben: sich halt ein Taxi herbeirufen.

Auf die Frage, ob sie nur die Luft von SUVs und Geländefahrzeugen auslassen und warum nicht auch bei anderen “Spritfressern“, wie gewissen Oldtimern oder Sportwägen – zum Beispiel einem Ferrari, antwortet Kassandra: “Nur SUVs sind von ihren Aktionen betroffen. Ferraris finde sie zwar auch überflüssig, aber es gibt die „Autos vieler Leute – es ist wie eine Sucht“ – die sind das echte Problem, die für die Klimakrise mitverantwortlich sind.“ Mit ihrem Finger zeigt sie auf die bereits zitierte Studie.

Vom Titelbild und dem fragenden Mädchen

Was wäre ein Interview ohne ein gutes Titelbild? Der Anonymität wegen kommt es für Karin und Kassandra nicht in Frage, dass anhand von Bildern ihre Identität erkannt wird. Trotzdem willigen sie für ein Beispielbild bei einem Autoreifen ein. Wir verlassen den Botanischen Garten und begeben uns zu einem zufällig ausgewählten Auto. Wir schauen uns um, wir sind auf der Strasse ganz allein, trotzdem wirkt die Stimmung angespannt. Obwohl dem Auto nichts geschehen soll, sorgt das Posieren am helllichten Tag bei einem Autoreifen für grosse Anspannung. Kassandra hockt sich hin und streckt ihre Hand Richtung Ventil aus. Karin stellt sich dazu. Ich schiesse ein paar Bilder. Dem Reifen passiert nichts!

Wir sind noch vor dem Reifen, da kommt plötzlich eine Familie mit Kindern im „Chindsgi-Alter“ aus dem „Hinterhalt“. Sofort erwecken wir mit unserem Fotoapparat das Interesse des vielleicht 6 Jahre altem Mädchen. Sie fängt an uns mit Fragen zu durchlöchern. „Wieso interessiert uns der Reifen? Was fotografieren wir?“ Das Mädchen, dass eine Enkelin von den beiden sein könnte, lässt nicht locker und möchte wissen, ob wir da nicht was gefunden hätten und was wir überhaupt da am Boden gemacht hätten. Karin erklärt, dass wir eine Reportage machen.

An der Nervosität und Anspannung ist deutlich sichtbar, wie unangenehm die Situation für die beiden Frauen ist. Man spürt, dass die während dem Gespräch auf Flugmodus gesetzten Smartphones und der anonymisierte Mailverkehr keine Versicherung vor der Sorge sind, „erwischt“ zu werden. Es ist klar, Karin und Kassandra würden sich niemals in ein derartiges „Abenteuer“ stürzen, wenn ihnen ihre Überzeugungen, nicht eine Herzensangelegenheit wäre.

SUVs und Geländefahrzeuge bei denen die Luft aus den Reifen ausgelassen wurde (Bild: Karin)

Das Ende der SUVs

Kassandra und Karin möchten das „unnötige Herumfahren“ im Allgemeinen vermeiden. Man solle die ÖVs attraktiver machen, die Menschen für das Velofahren und zu Fuss laufen belohnen und wenn Autofahren, dann bitte „sinnvoll“ und mit kleinen Autos. Die SUVs sind ihnen dabei der grösste Dorn im Auge. Bis die nicht mehr in den Städten herumfahren, möchten sie mit ihren Aktionen nicht locker lassen.

Auf die Frage, was sie mit den bereits bestehenden SUVs machen möchten, haben sie keine eindeutige Antwort parat. Die Produktion eines kleinen Autos um ein SUV zu ersetzen, kostet auch sehr viel Energie, Material und Produktion verbrauchen viel CO2. Sie meinen, man solle die SUVs einfach verschrotten, oder solange man sie noch brauchen könne, sollen sie den Schulen für den Kindertransport gegeben werden oder sie zu schönen Kunstwerken umgestalten.

* Aus Gründen der Anonymität wurden die Namen durch die Redaktion geändert.

Titelbild: Tomas Marik

7 Kommentare

  1. Schade, dass einfach alle SUV in den gleichen Topf geworfen werden. Neuere SUV können locker unter 7 Liter Diesel auf 100 km gefahren werden. Allradsysteme werden dank neuer Technologie abgeschaltet, also keine Spur von 4×4 schleuder.
    Im Gegensatz verbrauchen viele ältere Autos, welche keine SUV sind, deutlich mehr Benzin/Diesel, da sie einfach motortechnisch nicht mehr mit modernen Motoren mithalten können.
    Wo ist der Vergleich mit all den 6, 8 oder 10 zylindrigen Sportwagen? Schade, dass der technische Hintergrund völlig ausgeblendet wird und einfach nach dem Motto gross = schlecht verurteilt wird…

    1. Diese Analyse geht am Problem vorbei. Es geht nicht um den expliziten Verbrauch eines einzelnen SUV – es geht darum, dass der SUV als Autoform unnötig ist. Die Menschen, die ihn fahren, brauchen ihn nicht – in den meisten Fällen (eine Person) würde ein Kleinwagen reichen. Und ein Kleinwagen braucht grundsätzlich weniger Ressourcen. Egal wie sparsam: 2 Tonnen schwere Autos zu fahren, ist völlig unnötig. Es gibt niemanden, der einen Vorteil davon trägt, so ein Auto zu fahren. Deshalb sollte niemand so ein Auto fahren, egal, ob sich der Schadstoffausstoss verändert. Tyre Extinguishers gehen daher auch gegen Elektro- und Hybrid-SUVs vor. Ich finde das nur konsequent und richtig.
      7 Liter pro 100 Kilometer ist übrigens noch immer saumässig viel uind eine Umweltsünde.

  2. Tolle Sache. Wir haben lang genug tatenlos zugeschaut, wie die Politik die Rechte unserer Generation mit Füssen getreten hat. Auf allfällige Gesetzesübertretungen hinzuweisen ist angesichts einer globalen Katastrophe, kommender Hungerkrisen und Bürgerkriegen einfach nur lachhaft. Ich habe nichts als Respekt übrig für diese zivilcouragierten Bürgerinnen.

  3. Ich möchte Sie gerne darauf hinweisen, dass das Vertrauen darauf, dass das Auto das Problem anzeigt, riskant ist, Ihre Aktionen zeugen von mangelndem Respekt vor dem individuellen menschlichen Leben, mit Ihren Aktionen verlieren Sie Sympathie für Klimabelange und nehmen, wie gesagt, Körperverletzung in Kauf

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