Was können Geisteswissenschaften eigentlich? Das können die Studierenden der Phil-Hist-Fakultät manchmal selbst nicht auf Anhieb sagen. Dabei können sie einiges. Das hier soll keine Abhandlung über Sinn oder Unsinn geisteswissenschaftlicher Forschung sein. Aber ein Plädoyer für Stolz auf die Kompetenzen, die man in den Geisteswissenschaften erwerben kann. Und ein Zeichen dafür, dass die Uni Basel #mehralsMINT ist! Übrigens: MINT steht für die Fächergruppen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Von Christina Gut
Vor wenigen Tagen äusserte ich in einer Runde von Student*innen «…ich studiere zwar eine Geisteswissenschaft, aber trotzdem…». Shame on me! Während die Naturwissenschaftler*innen Mikroskopaufnahmen von pulsierenden Herzzellen herumzeigten, welche aus im Labor gezüchteten Stammzellen gewachsen waren, sass ich da und versuchte, mich nicht ganz unwichtig zu fühlen.
Philosophie, Soziologie, Literaturwissenschaften, Altertumswissenschaften – Alles Fächer, mit denen einem eine Frage am familiären Osterbrunch sicher ist: «Und was machst du mal damit?» Die Antwort darauf ist bezeichnend für die Geisteswissenschaften: «Das ist nicht so eindeutig…» Im besten Falle wenden sich die besorgt fragenden Verwandten ab und löchern die Eltern, warum sie denn so ein Fach zulassen würden, bei dem kein Namensschild mit Dr. (Med. oder Jur.) für den späteren Arbeitsplatz vorgraviert werden kann. Und die Geisteswissenschaften studierende Person kann sich wieder zurücklehnen und an die spannenden Inhalte der letzten Wochen Uni erinnern. Naja, realistischerweise schaut sie auf die Uhr, wann die Höflichkeitsanwesenheit erfüllt ist, denn mehrere Seiten Text wollen gelesen, 2 Referate vorbereitet und die in den Semesterferien liegengebliebene (Pro-)Seminararbeit fertiggeschrieben werden. Self-Organisation is key!
Womit wir beim ersten Punkt sind: Ein Studium an der Philosophisch-Historischen Fakultät lässt viele Freiheiten. Pflichtveranstaltungen gibt es einige wenige, viel ist Wahlpflicht und dann noch der freie Wahlbereich im Umfang von 30 ECTS, in dem man von African Studies bis Zoologie alles machen kann. Diese Freiheit hat ihren Preis. Ohne Disziplin und Organisationsfähigkeit kommt man nicht weit. Selbiges gilt für das Schreiben der allgegenwärtigen Seminararbeiten. In einem Studium mit zwei Phil-Hist-Fächern sind acht Arbeiten im Bachelor realistisch. Viele Geisteswissenschaften kennen keine Assessment-Prüfungen, wenn es überhaupt je Prüfungen gibt. Wer sein Geschichts-Studium ohne Abschluss beendet, ist in den seltensten Fällen mehrmals durch ein Seminar gefallen. Vielmehr hat die Person die Seminararbeiten nie beendet und irgendwann aufgegeben. Wer es aber durch den geisteswissenschaftlichen Bachelor geschafft hat, darf von sich behaupten, gute Fähigkeiten im Recherchieren, Schreiben und Abwägen von Argumenten zu besitzen.
Während andere Fächer grösstenteils im Frontalunterricht stattfinden, sind wir Nicht-MINTler*innen ständig aktiv. Die erste Sitzung eines Seminars ist neben der Einführung ins Thema meist von einer wichtigen Tätigkeit beherrscht: Der Verteilung der Referate, welche neben der Anwesenheit als Leistungsnachweis zählen, manchmal sogar ganze Sitzungsleitungen. Wer ab Sitzung 2 nicht vor versammelter Truppe seine Rhetorik-Skills unter Beweis stellen darf, ist aufgefordert mitzudenken und kritisch den Inhalt des – obligatorisch für jede Sitzung – gelesenen Textes zu diskutieren. Logische Argumente, kreatives Verknüpfen von Vorwissen mit Neuem und der Mut, sich trotz Unsicherheit zu äussern sind gefordert. Das Referat auf der anderen Seite benötig die Fähigkeiten, welche schon bei den Seminararbeiten aufgezählt wurden sowie ein sicheres Auftreten und Moderationsfähigkeiten.
Wenn es in den bisherigen Zeilen nicht deutlich genug wurde: Geisteswissenschaften sind anspruchsvoll. Sie verlangen eine Art von Lernen, welche nicht durch Bücher alleine, sondern im Dialog mit anderen passiert. Wir müssen unser Wissen ständig neu verknüpfen und unser Studium selbst gestalten. Wenn wir es bis ans Ende des Masters schaffen, haben wir keine Ausbildung für einen Beruf. Wir haben die Fähigkeit, uns selbstständig in neue Themen einzuarbeiten, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen und Uneindeutigkeiten auszuhalten. Kompetenzen, die heutzutage wichtiger sind denn je!
Ich würde mir Wünschen das ganze noch in einen etwas grösseren Kontext eingeordnet zu sehen. Das Phänomen das hier beschrieben wird hat auch relevante politische und soziale Dimensionen. Indem es z:B. um Fähigkeiten geht die nicht unmittelbar monetarisiert werden können. Aber eben auch Fähigkeiten welche sehr nützlich sind bestehende Strukturen in Frage stellen und fundiert zu kritisieren. Das Geisteswissenschaftler*innen in manchen Fällen nur wenig Raum einnehmen können scheint mir auch damit zusammenzuhängen, dass ihre Ergebnisse oftmals politisch sehr unbequem sind. Ein Stichwort wäre hier für mich die Phase von 2020-bis heute in der die Pandemie primär als medizinisches Problem aufgefasst wird. Auf der anderen Seite sollte aber auch betont werden, wie viel Raum sie eben doch einnehmen können und welche Wirkungsmacht sie auf einen öffentlichen Diskurs haben. Ein Stichwort wären für mich hier Genderstudies. Das mal so als Gedankenanstösse für eine allfällige Fortsetzung 🙂