Quo vadis, Helvetia?

Von Veränderungen im Schweizer Wahlkampf. Von Nicolas Neuenschwander

Wir werden in der Schweiz bald ein neu zusammengesetztes Parlament bekommen, dies geht natürlich mit einem langen Wahlkampf einher. Doch dieses Jahr konnten verschiedene Veränderungen festgestellt werden, die in ihrer Art für die Schweiz sehr ungewöhnlich sind. Vor allem in den Plakatkampagnen der verschiedenen Parteien gab es dieses Jahr deutliche Unterschiede zu vergangenen Jahren. Diese Unterschiede sollen nun näher analysiert werden.

Der grösste Unterschied in meinen Augen dieses Jahr war die verstärkte Fokussierung der Parteien auf die persönlichen Aspekte der verschiedensten Kandidaten*innen. So wurden von mehreren Parteien Kampagnen gestartet, die am Ende vor Gericht beigelegt werden mussten, zumeist aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Um dies darzustellen kann man sich die Plakatkampagne des Egerkinger Komitees sowie die Onlinekampagne der CVP anschauen.



Das Egerkinger Komitee

Das Egerkinger Komitee ist eine SVP-nahe Organisation, die ihren Sitz in Flaach im Kanton Zürich hat. Schon in der Vergangenheit hatte dieses Komitee mit seinen Aktionen von sich reden gemacht. So stammen etwa die weit bekannten Plakatkampagnen mit den Schäfchen und die Kampagne zur Minarettinitiative aus dem Umfeld dieses Komitees. Die Plakate wurden jeweils von der Goal Werbeagentur produziert, auf der Website des Schweizer Sozialarchivs befindet sich eine Sammlung von 450 Wahlkampfplakaten dieser Agentur.[1] Aus rechtlichen Gründen können diese Poster hier jedoch nicht direkt gezeigt werden.

Die Plakatesprache der SVP war in den letzten beiden Jahrzehnten immer sehr drastisch. Doch im diesjährigen Wahlkampf scheint diese drastische Bildsprache noch einmal auf ein höheres Level gedrückt zu werden und dies nicht nur von Seiten des Komitees. Hier ist ein Beispiel für die Eskalation der Sprache in den Plakaten des Komitees dieses Jahres. Das Komitee lancierte eine Kampagne gegen ausgewählte FDP-Politiker*innen.

Bild entstammt Screenshot von Google, unbekannte Privataufnahme



Mit dieser Kampagne und der vorhin angesprochenen CVP Kampagne im Internet, auf die später noch eingegangen wird, zeigt sich ein Wandel im Schweizer Wahlkampf . Zum ersten Mal in den letzten Jahrzehnten wurden nicht politische Positionen zum Wahlkampfthema gemacht, sondern es wurde gezielt versucht einzelne Persönlichkeiten schlecht darzustellen.

Alleine das Abstimmungsverhalten der in der Kampagne verunglimpften Personen reichte für das Egerkinger Komitee schon aus, um den Vorwurf der Islamistenunterstützung in den Raum zu werfen.[2] [3] Das dieser Vorwurf hingegen komplett aus der Luft gegriffen war, zeigte auch die Reaktion des Staates. So wurde vom Bezirksgericht Andelfingen eine einstweilige Verfügung erlassen, die das Abhängen der Plakate erfordert, aufgrund von vermuteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen.[4] Doch während man sich von der SVP eine eher schockierende und derbe Plakatsprache gewohnt ist, begab sich dieses Jahr auch die CVP mit einer Aktion auf dieselbe Ebene.


Die Internetkampagne der CVP

Die CVP begab sich dieses Jahr im Wahlkampf in für sie unbekannte Gewässer. Die CVP startete Mitte September 2019 eine für sie extrem ungewohnte Kampagne. Suchte man bei Google einen der diesjährigen Kandidaten*innen, so erschien an einer der obersten Stellen eine nahezu offiziell aussehende Webpage unter dem Namen Kandidaten2019.ch (Die Seite existiert mittlerweile nicht mehr). Der Sinn dieser Kampagne war es jedoch nicht primär Persönlichkeiten zu verunglimpfen, doch traf auch hier der Ton anscheinend einen Nerv in der Bevölkerung. Durch das Herausstellen von Unterschieden der anderen Parteien zu ihrem eigenen Programm kam nicht gerade gut an. Denn, wie Marc Balsiger, Politberater, von der NZZ zitiert wird,[5] stellt diese Art des Wahlkampfes in der Schweiz eine Neuerung dar. Diese Verhaltensweise ist sonst primär in den USA und in Grossbritannien zu beobachten.

Doch wieso erscheint diese Klimaveränderung im politischen Diskurs nun auch in der Schweiz? Einen genauen Grund dafür festzulegen, scheint mir nahezu unmöglich, es können also nur Vermutungen angestellt werden. Wir leben jedoch in einer Zeit, in der anscheinend der Inhalt einer Nachricht viel weniger Gewicht hat, als die Art der Nachricht. Schaut man sich momentan auf der Welt ein bisschen um, so sind die Schrecken allgegenwärtig. Sei dies nun die Klimakriese, die Situation in Hong Kong, der wiederausbrechende Krieg in Syrien mit Erdogans Offensive oder auch die gesamte Situation um den erneuten amerikanischen Wahlkampf und all seinen Begleiterscheinungen. In diesem Umfeld kommt es mir verständlich vor, dass mittels traditionellen Inhalten kaum noch Wahlkampf betrieben werden kann.

Denn wie soll Aufmerksamkeit generiert werden, wenn die allgemeine Umgebung konstant von Skandalen belagert wird? Hannah Arendt sagt in ihrem 1951 erschienenen Buch, The Origins of Totalitarism, «Der ideale Untertan der totalitären Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder der überzeugte Kommunist, sondern der Mensch, für den die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion (das heisst die Realität des Erlebens) sowie die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch (das heisst den Massstäben des Denkens) nicht mehr existieren»

Der zweite Teil dieser Aussage könnte in leicht abgeänderter Form sinnbildlich für diese Entwicklung stehen. Durch die enorme Menge an Information, die tagtäglich auf uns einprasseln, verlieren wir die Fähigkeit das Wesentliche herauszufiltern. Für einen Wahlkampf bedeutet dies nun, dass zu immer extremeren Mitteln gegriffen werden muss, um Erfolg zu haben. Meiner Meinung nach zeigen sich diese extremeren Mittel dieses Jahr eben genau in der Veränderung des politischen Klimas. Es gibt je länger je weniger Themen, womit die Wahlbevölkerung mobilisiert werden könnte, also muss nun sozusagen in die Giftküche gegriffen werden, um wahrgenommene Schwächen bei Kandidaten*innen anzugreifen und auszuschlachten. Dieser Prozess birgt jedoch Gefahren für unsere gesamte Gesellschaft und wir sollten uns alle Gedanken machen, wie dem Gegensteuer gegeben werden kann.



Foto: „Helvetia auf Reisen“ (1980) von Bettina Eichin, rastet auf der Mittleren Brücke in Basel. Quelle: Wikimedia Commons.


[1] https://www.bild-video-ton.ch/bestand/signatur/F_5123

[2] https://www.verhuellungsverbot.ch/aktuell/medienmitteilungen/fdp-schuetzt-radikale-islamisten/

[3] https://www.verhuellungsverbot.ch/aktuell/medienmitteilungen/mm-zur-plakataktion-die-fdp-schuetzt-radikale-islamisten/

[4] https://www.verhuellungsverbot.ch/aktuell/medienmitteilungen/mm-zur-plakataktion-die-fdp-schuetzt-radikale-islamisten/

[5] https://www.nzz.ch/schweiz/cvp-online-kampagne-provoziert-heftige-reaktionen-ld.1509268

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