„Aber… fühlst du dich nicht zum Objekt gemacht?“

Eine Sexarbeiterin erzählt von ihrem Alltag im Stripclub, von respektvollen und nicht ganz so respektvollen Kunden und wie sie durch ihren Job zu neuem Selbstbewusstsein fand. Von Amber Eve

„Ja, aber… du verkaufst ja deinen Körper.“

Ich habe Sophia soeben erzählt, dass ich als Stripperin arbeite. Wie die meisten Frauen reagiert sie darauf mit einer sonderbaren Mischung aus Faszination und Abscheu. Ich atme tief ein und aus. Schon so oft habe ich diesen Satz gehört oder im Zusammenhang mit meinem Job gelesen, und finde ihn… schwachsinnig. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war mein Körper nämlich noch da und ich konnte frei darüber bestimmen, was ich damit mache, vor wem, und wie lange. Und für wieviel Geld.

In meiner Wahrnehmung verkaufe ich meinen Körper genauso wie ein Bauarbeiter, der täglich schwere körperliche Arbeit erledigt. Wie jemand, der an einer medizinischen Studie teilnimmt. Wie ein Model, dessen Körper das Kapital einer Industrie ist, die Schönheitsideale diktiert. Dort interessiert man sich oft viel zu wenig für die Bedürfnisse der Menschen, die dieses Ideal erfüllen müssen und schnell verbrannt sind. Interessanterweise ist Model aber ein angesehener Beruf als Stripperin. Woran genau liegt das? Und warum werfen wir eigentlich Schriftstellern nicht vor, sie verkauften ihren Intellekt?

Ich verkaufe Erlebnisse. Intimität, Auf- und Erregung, Ablenkung, Aufmerksamkeit und Fantasien. Bedürfnisse, die eigentlich jeder hat – aber nicht jeder kann sie sich einfach mal so erfüllen. Viele Menschen haben keinen Partner, der ihnen all das geben kann. Andere bringen ihren Partner mit in den Stripclub, um mit ihm/ihr gemeinsam all diese Dinge zu erleben. Viele sehnen sich nach etwas, das ein bisschen exotisch glitzert, sie zum Lachen bringt und für eine Weile in eine andere Welt entführt. Sie wollen einen Ort, an dem ihre erotischen Fantasien Raum bekommen. Kontakt, Unterhaltung, Bestätigung – oder einfach etwas, das aus einem normalen Abend ein Abenteuer macht. Zum Glück gibt es also Stripper:innen!

Sophia guckt mich an und runzelt die Stirn. So ganz überzeugt ist sie wohl noch nicht. „Iiiih, aber dann musst du für so grusige alte Männer tanzen.“

Zuerst einmal: müssen muss ich gar nichts. Für wen ich tanze, entscheide am Ende nämlich immer ich selbst. Tatsächlich kommt es sehr selten vor, dass irgendjemand in den Club spaziert, auf mich zeigt und sagt: „Du. Ich will, dass du für mich strippst.“ Und selbst dann kann ich immer noch ablehnen. Viel öfter ist es so, dass ich aktiv auf Gäste zugehe und sie mit all meiner Überzeugungskraft in ein Verkaufsgespräch verwickle. Nawiegehts, Wieheißtdu, Woherkommstdu und übrigens, möchtest du nicht gerne einen Lapdance von mir? Oder vielleicht etwas Champagner mit mir trinken? Um in Clubs wirklich Geld zu verdienen, ist Reden wesentlich wichtiger als Tanzen. Etwas anders ist es vielleicht in den USA, wo mit guten Bühnenshows viel Trinkgeld gemacht werden kann. Aber wenn man sich nicht gerade um eine Stange dreht, ist aktives Zuhören und charmantes Auftreten auch dort die beste Strategie, um eine lukrative Geschäftsbeziehung zu jemandem aufzubauen.

Zum anderen sind diese „perversen alten Säcke“, die du dir da ausmalst, oft ein viel angenehmeres Publikum als „schöne“ junge Männer. Diese bilden sich oft ein, aufgrund ihres Aussehens und Alters nicht für gewisse Dienstleistungen zahlen zu müssen, sind betrunken, eigentlich unsicher und daher aufdringlich. Außerdem fällt es ihnen in besonders heißen Momenten meistens schwer, sich zu beherrschen. In meiner Erfahrung kann ein älterer Mann es viel besser aushalten und sogar genießen, wenn eine schöne Frau sich vor ihm dreht und er die aufkommende Lust nicht einfach schnell befriedigen kann. Vielleicht braucht es erst ein gewisses Alter und einen Wert an Erfahrung um zu erkennen, dass der eigentliche Reiz oft darin liegt, nicht alles sehen, berühren und haben zu können. Ob der Mensch vor mir nun dick oder dünn ist, eine Glatze, volles Haar oder viele Falten im Gesicht hat, ist mir eigentlich egal – solange er mir nicht auf den BH sabbert und seine Finger bei sich behalten kann. Um eine Verbindung herzustellen, muss ich jemanden nicht attraktiv finden. Klar kann es auch mal toll sein, einem besonders schönen Menschen einen Lapdance zu geben. Was für mich schön ist hat aber mehr damit zu tun, wie wohl und sicher ich mich mit jemandem fühle. Denn dort gibt es auch am meisten Platz für Wildheit, Erotik und Abenteuer.

„Aber… fühlst du dich nicht zum Objekt gemacht?“

Die Antwort ist einfach: Ja, aber das heißt nicht, dass ich es erlaube, respektlos behandelt zu werden. Für eine Weile bin ich das Lustobjekt und du der Lustmolch – wenn wir diesen Deal gemeinsam eingehen und du für meine Dienstleistung bezahlst, ist das kein Problem. Ich finde es viel schlimmer, wenn jemand (oftmals Frauen) mich beim Arbeiten mit Fragen auslöchert und am Ende kein Trinkgeld gibt, als wenn irgendein Mann mich dafür bezahlt, dass ich 10 Minuten auf seinem Schoß herumturne. Der einfachste Trick mich nicht zum Objekt zu machen, ist mir Wertschätzung für meine Zeit und Energie zu geben – und nicht nur im Stripclub funktioniert das am besten mit Geld.

Ich denke, unangenehm wird es immer erst dann, wenn man sich aus irgendeinem Grund gezwungen sieht, über seine Grenzen zu gehen. Dann wird es gefährlich, und dort entsteht bei anderen auch das Gefühl, wir seien Opfer. Die Gründe für Grenzüberschreitungen? Geld, Unsicherheit, und ja – in manchen Fällen Zwang von außen.

Menschenhandel und Zwangsprostitution existieren und sind Themen, denen man sich bewusst sein muss. Die Dienstleistungen von jemandem in Anspruch zu nehmen, der seinen Job nicht gerne oder sogar unfreiwillig macht, ist für beide Seiten im besten Fall unbefriedigend – im schlimmsten Fall lebensbedrohlich. Es ist unsere Aufgabe, immer wieder genau hinzuschauen und zu überprüfen, wo etwas verkehrt läuft. Nur… genau hinschauen tut irgendwie keiner so richtig gerne. Es würde bedeuten, sich intensiver mit einem Thema auseinander zu setzen, das viele verunsichert und manchmal auch mit eigenen Ängsten und Bedürfnissen konfrontiert. Diese freiwillige Blindheit ist fatal und führt dazu, dass Gesetze zum „Schutz“ von Sexarbeiterinnen erlassen werden, die unseren Job nicht sicherer, sondern schwerer machen. Oft wird für die „Opfer“ entschieden, ohne tatsächlich mit ihnen zu sprechen.

Als Stripperin komme ich tatsächlich relativ wenig in Berührung mit den Frauen, die zum Arbeiten im Rotlicht gezwungen werden. Wenn ich einen Pimp mit Goldkettchen um den Hals zuhause sitzen hätte, wäre es für ihn nicht lukrativer, mich zur Prostitution zu zwingen als zum Tanzen an die Stange? Genau. Hier ist wieder die Unterscheidung zwischen Striptease und „Full Service Sex Work“ (platt gesagt: Ausziehen für Geld im Gegensatz zu Sex für Geld) wichtig. Klar vermischt sich das an manchen Orten, und vor allem in der Schweiz gibt es zu viele Bars, die sich „Stripclub“ nennen aber eigentlich Bordell heißen sollten. Ich habe es jedoch geschafft, diese Welten klar für mich zu trennen und auch die entsprechenden Orte für mich zu finden.

In meinen 6 Jahren in Stripclubs habe ich viele starke Frauen kennen gelernt. Wunderschöne Frauen, mit kleinen oder großen Brüsten, manche davon echt, andere nicht. Frauen mit viel oder wenig Bauchspeck, glatter Haut und Cellulite. Frauen, die die Schwerkraft an der Polestange außer Kraft setzten und andere, die eher gelangweilt darum herum spazierten. Frauen, die ihr Studium finanzieren, ihre Kinder ernähren oder vom eigenen Kosmetikstudio träumten. Frauen, die auf den Retter hofften, der ihnen irgendwann einmal ein bequemes Leben ohne harte Arbeit ermöglicht. Frauen, die es sich zum Ziel gemacht hatten, das Patriarchat zu stürzen. Frauen, die jeden noch so uninteressierten Klienten dazu bringen konnten, sein Portemonnaie für sie zu leeren. Frauen, die manchmal zu viel Alkohol tranken. Frauen, die immer von irgendwoher Snacks herbei zauberten, wenn es nachts um 3 leer im Club war und alle fast einschliefen. Frauen, die sehr viel für Geld machten, und Frauen, die ihre Grenzen eisern wahrten.

Auch ich bin immer wieder in Situationen gelandet, in denen eine Grenze überschritten wurde. Nie war der Grund ein Zwang von außen – vielleicht ist das ein Privileg, aber ich habe mich nie in einer Situation befunden, in der ein „Nein“ von mir zu einer bedrohlichen Situation geführt hätte. Es bleiben also Geld und Unsicherheit als die zwei Fallen, die in meiner Arbeit manchmal nach mir schnappen. Jemand hat etwas begrapscht, das er nicht begrapschen sollte. Ich habe etwas getan, das nicht mit meinem Gefühl übereinstimmte. Ich bin zu lange in einem Gespräch verharrt, in dem ich mich nicht wohl fühlte. Vor allem letztere Situation hat fast jeder schon erlebt – ziemlich sicher sogar, ohne dafür bezahlt zu werden.

Wenn ich an diese Momente zurück denke, war ich höchstens Opfer meiner Selbst. Ich hätte jederzeit die Verantwortung übernehmen und Stopp sagen können. Stattdessen griff ein Muster in mir und führte mich in eine unangenehme Situation. Ich war unsicher, habe mich nicht ganz getraut, meine persönliche Grenze zu verteidigen oder hatte Angst, einen Klienten zu verlieren.

Ich hatte das Gefühl, das Geld sei den faulen Kompromiss wert (Spoiler: war es nie). Wie gehe ich damit um, wenn das passiert? Ich versuche, Verantwortung zu übernehmen, mir selbst zu verzeihen und daraus zu lernen. Im schlimmsten Fall passiert es wieder, und wieder – je öfter ich unangenehme Situation einfach hinnehme, desto schwieriger wird es aber auch, sie zu ändern. Das ist aber nicht nur im Stripclub so. Hier wird die Grenzüberschreitung vielleicht einfach deutlicher, weil es (zumindest auf den ersten Blick) um den eigenen Körper geht.

Ich habe gelernt, dass eine kompromisslose Attitüde langfristig lukrativer ist. Dem Grüsel neben mir gesagt, dass ich keine Lust habe, mit ihm zu reden. Betrunkene Jungs geohrfeigt, weil sie sich nicht beherrschen konnten. Mein Champagnerglas vor den Augen des unfreundlichen Gastes ausgekippt, aufgestanden und gegangen. Jedesmal hatte ich Angst, mir damit zu schaden – jedesmal habe ich ein Stück Respekt gewonnen und bewiesen, dass Wertschätzung die Basis jeden Deals mit mir sein muss. Das hieß auch, dass ich den ein oder anderen Club schnell wieder verlassen habe, weil ich dort keinen Rückhalt bekam. Vielleicht ist es ein Privileg von mir, dass ich mir diese Einstellung leisten kann. Vielleicht bin ich da ein wenig anders. Ich glaube aber, dass viel mehr von uns diese Freiheit einfordern könnten, und damit die Bedingungen für alle anderen langfristig verbessern würden. Solange wir unseren Wert nicht erkennen und den entsprechenden Respekt dafür einfordern, wird es immer Menschen geben, die genau das ausnutzen.
Auch ein Lustobjekt kann man mit Respekt behandeln.

Ich möchte mir im Grunde gar nicht anmaßen, allgemeine Aussagen über die unfreiwillige Arbeit in der Sexbranche* zu treffen, da ich mich als Stripperin größtenteils in einem anderen Bereich bewege. Aber was ich kann, ist den Blick in eben jene Welt zu öffnen, in der ich gelernt habe, mich stark und frei zu fühlen. Eine Welt, die voller intensiver Begegnungen ist; voller Geschichten, die absurd, berührend und manchmal einfach nur lustig sind. Eine Welt, in die ich mich verliebt habe.

*Sexarbeit: Was genau gehört da eigentlich dazu?
Oftmals wird angenommen, dass Sexarbeit gleich Sex für Geld bedeutet. Tatsächlich zählt als Sexarbeiter:in, wer Dienstleistungen erotischer/sexueller Natur anbietet. Dazu gehören aber eben nicht nur Personen, die „Full Service Sex Work“ (also Sex für Geld) anbieten, sondern auch Stripper:innen, Cam Girls/Boys, Dominas, Pornodarsteller:innen, Mitarbeiter:innen von Sex- Hotlines usw.

Bild: amber-eve.com, Photo taken by Jeton Shali, https://www.instagram.com/lightwav/

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